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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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Erfolgserlebnis schuldete er allerdings ausschließlich den äußeren Umständen: Er hatte den Todeskampf des Opfers nur vage verfolgen können, es war einfach zu dunkel gewesen. Darum konnte er auch nicht dieses überschießende Erregungsniveau erreichen, das bis dahin bei ungestörter Tatausführung einen frühzeitigen Höhepunkt ausgelöst hatte. Und es war ihm gelungen, das Opfer und sich selbst diesmal so weit und so schnell zu entkleiden, dass es gereicht hatte.
    Und dabei war es gar nicht Martha Höller gewesen, die er hatte schänden und töten wollen. Anderthalb Stunden war er um die Haltestelle »Ruhrtalbrücke« herumgeschlichen, aber Hannelore Golz war nicht gekommen. Dann hatte er die Hoffnung aufgegeben. Einen letzten Versuch hatte er schließlich am Hardenbergufer unternehmen wollen – und war dabei zufällig auf Martha Höller getroffen, die gerade damit beschäftigt gewesen war, ihr Zeitungspapier zu verbrennen. Weil er fast den ganzen Tag damit zugebracht hatte, ein Opfer aufzustöbern, war er hochgradig erregt gewesen, und darum war es ihm gleichgültig geworden, wer da vor ihm liegen würde. Die einzige Bedingung: Es musste eine Frau sein.
    Erst an der Bushaltestelle war ihm aufgefallen, dass er seine Schachtel Zigaretten verloren haben musste. Da er, kurz bevor er auf Martha Höller getroffen war, noch geraucht hatte, musste sie ihm auf der Straße oder im Wald aus der Brusttasche seines karierten Oberhemdes gerutscht sein. Jetzt machte er sich Sorgen. Nach der Tat hatte er sich nicht getraut zurückzugehen und nach den Zigaretten zu suchen. Es war ihm zu riskant gewesen. Er hatte befürchtet, doch noch in der Nähe des Tatortes beobachtet zu werden. Denn bis dahin war er sicher gewesen, unbemerkt und unerkannt entkommen zu sein. Zudem hatte er angenommen, die Packung in der Dunkelheit nicht finden zu können. Dass er auch noch einen Hosenknopf verloren hatte, der ihm von Martha Höller während des Kampfes abgerissen worden war, sollte ihm erst Wochen später auffallen – und stellte dann keinen Zusammenhang mehr her.
    Schnell konnte durch die Mordkommission die Herkunft des Altpapiers geklärt werden, das Martha Höller kurz vor ihrer Ermordung verbrannt hatte. Die Zeitungen und Magazine stammten von ihrem Sohn Klaus, der sie kurz vor der Abreise nach Holland seiner Mutter übergeben hatte. Ein »Tatbezug« konnte somit ausgeschlossen werden.
    Den Ermittlern war aufgefallen, dass dort Kampfspuren fehlten, wo sie zu erwarten gewesen wären, wenn das als resolut und wehrhaft bekannte Opfer von einem Fremden angegriffen worden war: am Straßenrand, wo das Opfer die Zeitungen verbrannt hatte, und auf den ersten Metern des kleinen Fußweges, der in den Wald hineinführte. Also mussten alle männlichen Verwandten, Freunde und Bekannten ausfindig gemacht und vernommen und überprüft werden. Zwei Wochen vergingen, bis das Ergebnis feststand. Niemand durfte ernsthaft in Betracht gezogen werden – ein Fehlschlag, der besonders gravierend war, weil sich herausgestellt hatte, dass in eine vollkommen falsche Richtung ermittelt worden war. Die Kommission hatte dem Täter somit einen weiteren Zeitvorsprung verschafft.
    Auch die Schachtel Zigaretten und der abgerissene Hosenknopf brachten die Ermittlungen nicht voran. Lediglich an der Zigarettenpackung hatten Wischspuren einer Handfläche und das Fragment eines Daumenabdrucks nachgewiesen werden können, die aber für weitere Ermittlungen »unbrauchbar« waren und auch nicht als gerichtsfestes Beweismittel dienen konnten. Wieder eine Sackgasse.
    Aber die Kommission hatte noch ein As im Ärmel. Die Fahnder wussten zwar nicht, wie der Täter aussah oder wie alt er war, aber sie kannten seine Blutgruppe. Da die Hinweise aus der Bevölkerung nur spärlich erfolgt waren und sich nicht auf bestimmte Personen bezogen hatten, blieben als potentielle Verdächtige jene Männer übrig, die als »Sittentäter« in Essen und angrenzenden Städten oder Landkreisen aktenkundig waren. Wochenlang wurden immer wieder dieselben Fragen gestellt: »Wo waren Sie in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli, zwischen 23 Uhr und 1 Uhr?« »Gibt es jemand, der das bezeugen kann?«
    Zwei der Befragten konnten oder wollten sich überhaupt nicht erinnern. Sechs Männer erklärten zwar, wo sie sich zur fraglichen Zeit angeblich aufgehalten haben wollten, nur konnten sie nicht beweisen, dass sie »zu Hause«, »mit dem Auto unterwegs« oder »spazieren« gewesen waren. Nach

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