Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
dass sie arglos mitgingen. Meistens versprach er den Kindern Süßigkeiten oder er schützte vor, ihnen etwas Verlockendes zeigen zu wollen. Um sich an seinen Opfern ungesehen und ungestört vergehen zu können, lockte er sie hinter ein Gebüsch, eine Baumgruppe oder in einen Hinterhof. Dort streichelte er die Kinder, berührte sie auch dort, wo sie nicht angefasst werden wollten. So manches Kind bemerkte gar nicht, was da vor sich ging, er betatschte sie wie zufällig. Selten onanierte er vor den Mädchen, denn meistens erregte ihn der unmittelbare Kontakt, die körperliche Nähe, aber auch die als vermeintliche Zustimmung und Zuneigung gedeutete Zurückhaltung dermaßen, dass er augenblicklich zum Höhepunkt kam.
Ein Tötungsverlangen verspürte er indes nicht. Der unbedingte Vernichtungswille, der pubertierenden Mädchen, Jugendlichen oder erwachsenen Frauen regelmäßig zum Verhängnis geworden war, konnte Kindern gegenüber nicht seine todbringende Wirkung entfalten. Warum er sich so verhielt, blieb ihm verborgen. Und er genoss es, nicht gering geschätzt und erniedrigt zu werden, seiner verkrüppelten und verkommenen Sexualität abhelfen zu können.
Den sexuellen Missbrauch von Kindern instrumentalisierte er, um einen Ausgleich für seine sonstige Enthaltung zu erfahren. Er war ein »Pseudopädophiler«, sein sexuelles Interesse war nicht primär auf Kinder gerichtet. Ihrer bediente er sich nur, weil er sonst nicht zum Zuge kam.
Durch die aus seiner Sicht befriedigenden Erfahrungen mit kindlichen Opfern verblassten seine kannibalistisch eingefärbten Tötungsphantasien zunächst. Doch schon nach einigen Monaten wurde er wieder eingefangen – von jenem abstoßend-verlockenden Gemütszustand, den er mit schlichten Worten als »komisches Gefühl« bezeichnete. Er hatte zwar einen Weg gefunden, um sich körperlich zu befriedigen, aber seine seelischen Bedürfnisse blieben nahezu unerfüllt. Die ungezähmte Wut, der abgrundtiefe Hass, den er Frauen unbewusst entgegenschleuderte, suchte nach einem Weg, um sich entladen zu können.
Der Wunsch, ein junges Mädchen zu töten, ihren Körper aufzuschneiden, die Innereien und Organe zu betrachten, herauszuschneiden, zu befühlen und den toten Körper nach und nach aufzuessen, flammte immer wieder auf wie ein Schwelbrand, der nicht vollständig gelöscht werden konnte. Einerseits wurde er in unregelmäßigen Abständen von diesen glimmenden Emotionen überrannt, andererseits war er kein willenloser Sklave, der solchen Impulsen nicht hätte widerstehen können. Stets waren es die äußeren Umstände, die sein Handeln dominierten. Drohte ihm unmittelbare Entdeckungsgefahr, machte er sich aus dem Staub – ohne Rücksicht auf noch Unerledigtes und Unerfülltes. Doch auch wenn diese Gefahr tatsächlich nur abstrakt bestand, so interpretierte und empfand er sie als durchaus reale Bedrohung. Und da s war der Grund, warum er die Leichen seiner Opfer nicht mit einem Messer malträtierte und seinem wohl dringendsten Bedürfnis nachkam.
In all den Jahren hatte sich bei ihm ein breites Spektrum von Perversionen entwickelt. Seiner facettenreichen Abnormität stand er allerdings nicht vollkommen gleichgültig gegenüber und je mehr Spielarten sich ihm eröffneten, umso suspekter erschien ihm sein verbrecherisches Handeln. Gelegentlich war er sogar in Sorge und befürchtete, seine monströsen Bedürfnisse nicht länger zurückdrängen zu können. Aber alle Zweifel, Bedenken und Gewissensbisse büßten spätestens dann ihre hemmende Wirkung ein, wenn ihn das »komische Gefühl« überkam. In diesen Momenten konnte er nicht mehr darüber befinden, ob es passieren sollte, nur wann und wo und wen es treffen würde, musste noch entschieden werden.
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»Beeilt euch doch mal, wir müssen los!« Georg Römkens meinte seine Töchter Julia und Anna, die wieder mal herumtrödelten. Es war schon kurz nach 7 Uhr, und der 42-Jährige wollte pünktlich in der Firma sein. Er arbeitete als Gärtner für die Ruhrgas AG in Essen-Bredeney, wollte aber vorher seine Kinder am Bahnhof in Hösel absetzen. Die Familie Römkens wohnte in einem ehemaligen Bauernhof in Breitscheid, einer kleinen Gemeinde zwischen Düsseldorf und Essen. Georg Römkens bewirtschaftete den Hof und versorgte nebenher sechs Reitpferde, die der Pächter auf dem Anwesen stehen hatte. Elke, seine vier Jahre jüngere Frau, kümmerte sich um den
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