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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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Ermordung Julias an der Trinkhalle am Bahnhof in Hösel zunächst eine Flasche Zitronensprudel gekauft hatte, bevor er mit der »D-Bahn« nach Duisburg zurückgefahren war. Und die ältere Dame, von der er bedient worden war, hatte nur sein Oberhemd und nicht die verdreckte Hose sehen können. Wieder hatte sich alles zu seinen Gunsten gefügt.
    Den Kontakt zu seinem Freund Rolf Hansen hatte er nicht aufgegeben. Regelmäßig besuchte er ihn und Helga sowie Bianca, die mittlerweile vierjährige Tochter. Nicht ein einziges Mal versäumte er es, bei seinen Besuchen dem Mädchen Süßigkeiten mitzubringen. Da ihre Eltern ihm bedingungslos vertrauten, durfte er mit Bianca spazieren gehen, sie mit auf den nächsten Spielplatz nehmen oder gemeinsam eine Runde mit dem Moped drehen.
    Er mochte Bianca. Sie war ein aufgewecktes und aufgeschlossenes Kind, das gerne lachte. Von der Unbekümmertheit und Naivität des Mädchens ließ er sich gerne einfangen. Und sie meckerte nicht oder hänselte ihn. Er hatte das Gefühl, von ihr ernst genommen und respektiert zu werden – auch als Mann.
    Allerdings regten sich in ihm nicht nur freundschaftliche Gefühle für das Mädchen. Die ersten Annäherungsversuche waren zögerlich, zaghaft: Er streichelte ihr über das braune Haar, ihre Hände, küsste sie auf den Kopf oder gab ihr einen Klaps auf den Hintern. Bianca ließ sich alles gefallen. Sie war arglos, hatte großes Vertrauen zu ihm, dachte sich nichts dabei. Doch er interpretierte die Gleichgültigkeit und Zurückhaltung des Mädchens als Zustimmung und Zuneigung. Obwohl auch ihm bewusst war, dass seine Gefühle sich gegen ein Kind richteten, hatte er keine Skrupel. Er akzeptierte lediglich seine eigenen Empfindungen und Bedürfnisse. Es war ihm kaum möglich, das innere Erleben anderer Menschen einzuschätzen oder nachzuvollziehen. Menschen waren eben keine Kühlschränke, die man einfach öffnen konnte und deren Innenleben sich dann ohne weiteres offenbarte. Auch die ruinösen seelischen und körperlichen Folgen seines abnormen Verhaltens für Bianca und alle anderen missbrauchten Mädchen blieben für den jetzt 38-Jährigen ein Muster ohne Wert. Er konnte sich keine rechte Vorstellung davon machen. Es interessierte ihn aber auch nicht. Es kam ihm ausschließlich darauf an, sich selbst Befriedigung zu verschaffen.
    Biancas Eltern baten ihn gelegentlich, auf ihre Tochter aufzupassen, wenn sie ins Kino wollten, zu Freunden oder etwas besorgt werden musste. Er tat das gerne. Denn dann konnte er mit Bianca allein sein, ungestört. Häufig spielten sie mit den Puppen des Mädchens, und irgendwann verriet er Bianca ein großes Geheimnis: dass er auch Puppen besaß, die alle einen Namen hatten und dass er sich mit ihnen unterhalten konnte. Bianca war beeindruckt.
    Als er davon überzeugt war, das Kind beliebig manipulieren zu können, näherte er sich Bianca auch sexuell. Er brauchte ihr nicht zu drohen, er musste auch keine Gewalt anwenden, um sein Ziel zu erreichen. Seine Argumente waren überzeugend, und Bianca glaubte, sich fügen zu müssen. Aber instinktiv spürte sie, dass es nicht natürlich war, wenn sie nackt vor ihm stand oder sie seinen Penis anfassen und daran reiben sollte. Und weil er ihr jedes Mal verbot, mit jemandem darüber zu sprechen, wurde ihr nach und nach bewusst, dass sie Teil eines bösen Spiels geworden war, dass auch sie mitgemacht hatte, dass sie es ihren Eltern verschweigen musste, dass andernfalls ihr und ihm schlimme Strafen drohten. Bianca musste also stillhalten. Sie fürchtete die Reaktionen ihrer Eltern, aber auch seine. Sie wollte Vater und Mutter nicht enttäuschen – und ihn auch nicht. Die Vierjährige steckte in einer emotionalen Zwangsjacke, die sie nicht einfach abstreifen konnte wie ein weißes T-Shirt, das beim Spielen schmutzig geworden war. Für Bianca gab es nur eine Lösung: Sie musste alles über sich ergehen lassen, und sie musste alles für sich behalten.
    Ihm erging es ähnlich. Seine intimsten Wünsche hatte er immer verschwiegen, sich nie etwas zugetraut. Über seine Mordgelüste hatte er auch mit niemandem gesprochen. Und die blutigen Erinnerungen an reale Gemetzel hatte er ebenfalls nirgendwo preisgegeben. Was hätte bei all dem schon herauskommen sollen!
    Über Jahrzehnte war es ihm gelungen, ein Selbstbild zu zeichnen und zu unterhalten, das ihn nach außen als friedfertigen Mitbürger erscheinen ließ – ein Durchschnittstyp, ein Jedermann. Diejenigen, die ihm häufiger

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