Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Vorsitzende seine Entscheidung: »Der Angeklagte konnte des ihm zur Last gelegten Verbrechens nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit überführt werden.« Der Richter erläuterte insbesondere die »außerordentlichen Schwierigkeiten«, vor denen sich Polizei und Schwurgericht befunden hätten: So wisse man nicht, welchen Heimweg das Opfer genommen habe, die Spurensicherung sei durch starken Regen beeinträchtigt worden, und die Kleidung Schnorrenbergers sei erst nach drei Tagen sichergestellt worden – alles »unglückliche und die Ermittlungen beeinträchtigende Umstände«. Zudem wären Angeklagter und Ermordete übereinstimmend Angehörige einer sehr seltenen Blutgruppe gewesen.
Der psychiatrische Sachverständige glaubte in Schnorrenberger »einen ausgesprochen asthenischen Typ« erkannt zu haben, dem »Gewaltanwendungen im Allgemeinen fremd« seien. In solchen Fällen bestehe vornehmlich »eine Neigung zu Eigentumsdelikten«. Das Fazit des Gutachters: »Der persönlichen Struktur des Angeklagten nach spricht aus psychiatrischer Sicht weitaus mehr gegen seine Täterschaft als für diese.«
»Besondere Bedeutung« wurde dem Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchungen, insbesondere den »Fasergutachten« beigemessen, die vor Beginn der Hauptverhandlung aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch als »schweres Geschütz« gegolten hatten. Der Vorsitzende führte hierzu aus: »Insgesamt ist nach den wissenschaftlichen Untersuchungen beider Sachverständigen davon auszugehen, dass bei den wechselseitigen Faseranhaftungen eine eindrucksvolle Übereinstimmung besteht, die auf die Möglichkeit einer intensiven Berührung des Angeklagten mit Julia Römkens hindeuten kann. Die Sachverständigen haben jedoch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht von einer tatrelevanten Spurenübertragung gesprochen werden könne. Die Sachverständigen haben überzeugend ausgeführt, dass es sich bei den Kleidungsstücken, denen die Fasern entstammen, um Massenprodukte der Serienfertigung handelt, deren Fasern für das spezielle Kleidungsstück keine individuellen Merkmale enthalten.
Das bedeutet, dass verschiedenfarbige Fasern, wie sie das Schottenmuster der Jacke des Angeklagten enthält, in gleicher Struktur und Färbung auch in einem ähnlich oder anders gemusterten Kleidungsstück vorkommen können, das daneben durchaus noch weitere Fasersorten enthalten kann, ebenso wie auch nicht alle Fasersorten oder Farben aus der Jacke des Angeklagten am Opfer oder an den Zweigen der Umgebung festgestellt worden sind. Gleiches gilt hinsichtlich der Kleidung der Julia Römkens.
Pulloverfasern, wie sie an der Wendejacke gefunden worden sind, kommen in vielen anderen Kleidungsstücken vor. Unzählige weitere Möglichkeiten harmloser Faserübertragung sind nicht auszuschließen: Zum Beispiel kann die Kleidung der Julia Römkens in der Schule, bei der Ablage in der Turnhalle und bei ähnlichen Gelegenheiten mit Kleidungsstücken von Mitschülerinnen in Berührung gekommen sein, die solche Fasern abgaben, wie sie auch die Jacke des Angeklagten enthält. Jedes feste Berühren, zum Beispiel bei der Bahnfahrt, etwa im Gedränge beim Aussteigen, bietet die Möglichkeit der Faserübertragung.«
Das Gericht beklagte demnach die fehlende Individualität der Textilfasern, bloße Übereinstimmungen nach Struktur und Färbung seien lediglich »geeignet, den Angeklagten weiterhin verdächtig erscheinen zu lassen«. Allerdings hatten sich die Gutachter nicht zu einer Aussage durchringen können, mit »welchem Grad an Wahrscheinlichkeit« Schnorrenberger als Täter anzusehen sei. Auch der Umstand, dass die am Tatort gefundenen Spermaspuren die Blutgruppeneigenschaft des Angeklagten aufwiesen, wollte das Gericht nicht als »Tatbeweis« gelten lassen. Es stellte hierzu fest: »An der Innenseite des Mantels der Julia Römkens, der unter dem Opfer gelegen hat, sind an der Lagestelle des Genitalbereichs Spermaspuren gefunden worden, wie sie weiterhin auch beim Scheidenabstrich der Leiche festgestellt worden sind. Die Untersuchung der Spermaspuren durch beide Sachverständige hat übereinstimmend ergeben, daß sie eindeutig von einem A-B-Ausscheider stammen, wie es der Angeklagte ist. Dieses Ergebnis engt den Kreis der Tatverdächtigen zwar ein, weil von 100 Personen nur jeder 25. A-B-Ausscheider ist. Dennoch bleibt außer dem Angeklagten eine Vielzahl weiterer Personen als Erzeuger dieser Spur möglich.« Aus sämtlichen
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