Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
keinen Sex haben, küssen wir uns stundenlang, was, das haben Recherchen im Internet ergeben, ebenfalls jede Menge Kalorien verbrennt. Und das Immunsystem stärkt! Immerhin wechseln bei einem intensiven Kuss bis zu vierzigtausend Bakterien ihren Besitzer. Was ein bisschen eklig ist, wenn man es so schwarz auf weiß liest.
Trotzdem kein Wunder, dass ich mich topfit, strahlend schön und so rank und schlank wie niemals zuvor fühle. Wenn ich gewusst hätte, wie leicht es ist, drei Kilo in vier Wochen zu verlieren, hätte ich mich schon viel früher verliebt.
Unsinn. So ein Quatsch! Ich wollte mich ja nicht in irgendwen verlieben, sondern in den Einen, den Richtigen!
Wobei… Nein, so ganz kann ich das wohl doch nicht stehen lassen. Ich würde ja zu gerne aus vollster Überzeugung und reinstem Herzen behaupten, dass ich auf jemanden wie Konrad nur gewartet hätte. Dass ich mir in meinen romantisierten Kleinmädchenträumen vorgestellt habe, dass ich ihm, dem ich in der Mittelstufe Furzkissen auf den Stuhl gelegt habe, auf einem grün bewachsenen Hügel im milden Junisonnenschein mit ausgestreckten Armen entgegenlaufe– in Zeitlupe UND mit Geigenmusik.
Dem ist aber nicht so. Konrad ist vielleicht nicht das komplette Gegenteil dessen, was ich mir immer gewünscht habe, aber auch nicht so, wie ich dachte, dass er sein sollte. Aber wie sollte er denn sein? Ich frage mich, was genau ich eigentlich wollte, als ich vor mehr als einem Jahr mit meinem kuriosen Experiment begann. Ich wollte jemanden. Und auch wenn das nach irgendjemandem klingt– nein, nein, so war das nicht. Nicht irgendwen, sondern: jemanden. Der zu mir passt. Der mich nicht verbiegt. Und der mein Leben noch schöner macht.
Noch schöner. Das impliziert, dass es schön war. War es aber nicht. Ich war ein mieser Single. Ein ganz mieser. Vielleicht sogar der mieseste Single überhaupt. Ich konnte dem Alleinesein wirklich gar nichts abgewinnen und malte mir in meinen Vorstellungen aus, wie schön und wie glücklich ich zu zweit wäre. Wenn ich ehrlich bin, war es am Anfang gar nicht so wichtig, wem ich mein Herz hinterherwarf. Ich war ja schon glücklich, wenn es überhaupt jemanden gab, an dessen Fersen ich mich heften konnte. Die meisten, die ich traf, waren dann leider auch ganz und gar nicht das, was ich mir so vorgestellt hatte.
Konrad, das gebe ich zu, gehörte auch nicht zur engeren Auswahl. Eine ganze Zeit lang nicht. Eigentlich sogar noch nie. Konrad war im hintersten Eckchen meiner Erinnerung abgespeichert, irgendwo zwischen meinem Englischlehrer, Herrn Eberle, der mit seiner feuchten Aussprache des » tieh äitsch« gerne die erste Reihe vollspeichelte, und meinem erniedrigenden Abgang beim Abiball, als ich erst in den Schirmständer im Foyer und dann einer fremden Frau auf die paillettenbesetzten Pumps kotzte. Der Abend endete früh für mich. Abitreffen habe ich seitdem gemieden.
Konrad stand also nun wirklich nicht ganz oben auf meiner Liste. Dafür trug er, zumindest in meiner Erinnerung, seinen Rucksack immer zu hoch im Nacken und verschanzte sich, und das bilde ich mir sicher nicht ein, gerne hinter seinen Informatikerheftchen. Die liest er heute noch. Darf er auch, immerhin kann er sie inzwischen von der Steuer absetzen.
Wieso bin ich heute trotzdem mit Konrad zusammen?
Nicht trotzdem, sondern gerade deswegen!
Konrad ist mir einerseits so vertraut, dass ich manchmal das Gefühl habe, wir sind nicht seit sechs Wochen, sondern seit sechs Jahren ein Paar. Und doch hat er so viele Seiten an sich, die ich nicht kannte, die mich überraschen, begeistern und sprachlos machen. Sein Talent auf dem Gebiet der Pfannkuchenherstellung ist beispielsweise überragend. Seine Fähigkeit, mich morgens aus dem Bett zu locken (wenn er nicht gerade auf dem Klo sitzt und nach Toilettenpapier brüllt, normalerweise macht er das geschickter), überwältigt mich genauso wie die Tatsache, dass sein Bauch und mein Rücken eine– ich schwöre!– anatomisch perfekt ausgezirkelte S-Kurve beschreiben und wie zwei menschliche Puzzlestücke optimal zueinanderpassen. Wirklich! Dieser Bauch hat auf meinen Rücken gewartet. Und umgekehrt.
Und ich auf Konrad. Mein Bild von diesem jemand, den ich gerne in mein Leben hineinlassen wollte, war unkonkret. Ich wusste, was ich nicht wollte. Damit kam ich aber nicht weit. Konrad hingegen schon, denn er füllte diese leere Fläche meiner Vorstellungen mit seiner ganzen Person einfach aus und gab mir wenig Zeit, über für,
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