Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
persönlich zwar glücklich, wird auf Außenstehende aber möglicherweise etwas eigenartig wirken. Da steht eine erwachsene Frau im Schlafanzug am Samstagmorgen in der Küche und hackt wie eine Besessene mit dem Küchenmesser auf das Eis im Kühlfach ein. Wenn sich ein Stück lockert, hebelt sie so lange mit dem Tortenheber, bis das Stück herausbricht. Die erwachsene Frau zieht mit einem triumphierenden Lächeln die Eisscholle aus dem Fach und hebt sie prüfend ins Licht. Eine Gänsehaut läuft ihr über den Rücken. Die erwachsene Frau findet das fast noch schöner, als Pickel auszudrücken. Sie wirft die Eisscholle in die Spüle und fokussiert dann mit starrem, hoch konzentriertem Blick die nächste Stelle, auf die sie einhacken wird, als eine Stimme aus dem Off sie sanft in die Küche zurückzerrt.
» Juli«, fragt die freundliche Stimme, » magst du mir bitte erklären, was du da tust?«
Ich drehe mich langsam um. Da steht Konrad, mein unperfekt perfekter Freund, mit zerstrubbelten Haaren und Schlaf in den Augen. Er legt den Kopf schief. Dann kommt er auf mich zu, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und sagt: » Ach, ist auch egal. Machst du Kaffee, wenn du mit deiner… Arbeit … fertig bist?«
Es ist also wahr. Man liebt alles am anderen. Auch das Bekloppte.
Bäumchen wechsel dich
Sonntag, 17 . April, um 23 : 17 Uhr
Nach meiner glorreichen Erkenntnis knabbere ich das halbe Wochenende an den Folgefragen herum, die meine Entdeckung aufwirft: Wie liebt man die Marotten des anderen? Gibt’s einen Trick? Ich möchte ihn kennen! Denn egal wie sehr ich mich bemühe, dieses Wochenende nicht bei jedem liegen gelassenen Joghurtdeckel rumzumeckern– es nervt mich trotzdem. Ich schlucke sämtliche Kommentare runter und lächle debil, aber wenn das so weitergeht, hab ich heute Abend ein Magengeschwür. Man wird ja bekanntlich krank, wenn man zu viel runterschluckt und das viele dann im Magen landet und dort weiterätzt. Oder man rastet vorher aus. Dann kriegt man einen Herzinfarkt. Magengeschwür oder Herzinfarkt, na toll. Pest und Cholera. Wie auch immer ich es drehe und wende: Bis heute Abend werde ich wohl so oder so gestorben sein. Dann muss ich mir auch nicht mehr die Frage stellen, warum Konrad es so spielend leicht schafft, meine unschönen Seiten zu lieben, während ich in der gleichen Disziplin jämmerlich versage.
Na gut, einschränkend sei gesagt: Er war mit Nadine zusammen, und die ist jetzt mal nicht unbedingt ein Ausbund an Heiterkeit und gutem Benehmen. Wer Nadine liebt, und zwar ganz aufrichtig, dem kann es bei mir ja nicht so schwerfallen. Wenn man die Optik mal vernachlässigt. Oder doch?
Hm. Ich blättere mein Sündenregister durch. Und finde beschämend viele Einträge. Zuletzt fiel ich besonders durch meine penible Rabattmarkenheftführung auf. So nennt Mona meine Taktik, erst mal die Klappe zu halten und alle Vorwürfe zu sammeln, jedes unangenehme Ereignis brav ins Rabattmarkenheftchen einzukleben, und es dann, wenn es voll ist, Konrad vorzulegen und mit hundertachtzig Sachen in einen gigantischen Beziehungsstreit reinzubrettern.
Ich bin ein Elefant. Also im Kopf. Ich vergesse gar nichts. Ich erinnere mich an jede Kleinigkeit und hole jeden falschen Gesichtsausdruck, jeden genervten Tonfall, jede kleinste Mickrigkeit im günstigsten Augenblick wieder hervor, um sie Konrad aufs Brot zu schmieren. Ich bin der Chef der Beweisführung, der Oberstaatsanwalt des Alltags, ich schnüffle jedem Indiz hinterher und habe für jeden Vorwurf mindestens drei stichfeste Beweise, selbst wenn sie genau genommen meistens schon verjährt, zumindest aber von Konrad schon vergessen sind.
Ihh! Das ist aber nicht schön. Wenn ich das so aufschreibe, kommen mir doch ernste Selbstzweifel. Mal überlegen, was mich liebenswert macht.
Ich bin spontan! Und impulsiv! Also, meistens impulsiver als spontan. Impulsiv mit einem Hang zur Melodramatik und zur Cholerik. Äh… Aber lustig bin ich! Genau, lustig! Und manchmal ironisch. Also immer dann ironisch, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle. Was häufiger vorkommt, als man jetzt vielleicht glauben mag. Dann bin ich ironisch. Besser gesagt: bissig. Und ein bisschen gemein. Und…
Stopp! Das geht ja gar nicht. Meine Güte, gibt es überhaupt irgendwas Nettes an mir? Wenn ich so darüber nachdenke, bekomme ich ein ganz klammes Gefühl in der Magengegend. Ich frage mich schon das ganze Wochenende über, was ich an Konrad liebenswert finde, und stelle plötzlich fest,
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