Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
dass ich vor allem an Konrad lieben sollte, dass er MICH liebt, und zwar ohne zu versuchen, irgendeine meiner mehr als gut ausgeprägten Macken, Marotten, Unarten und schlechten Angewohnheiten zu verändern. Konrad hat noch nie versucht, mich zu verändern.
Das könnte unsere erste richtige Gemeinsamkeit sein.
Quarterback
Dienstag, 19 . April, um 19 : 51 Uhr
Konrad hat gefragt, ob ich am Wochenende wieder mit zu seinen Eltern will. Von Wollen kann hier zwar nicht die Rede sein, aber ich habe beschlossen, mich zu bessern, und deswegen versuche ich, so begeistert zu nicken, dass ich mir fast den Halswirbel ausrenke. Konrad freut’s. Mich eine Kleinigkeit weniger, aber sein Vorschlag bringt mich auf eine neue Idee.
Diejenigen, die mich am längsten kennen und trotzdem lieben– die müssten doch wissen, was an mir liebenswert ist?
Meine Mutter ist ziemlich überrascht, als ich sie anrufe und mich selbst einlade. Skeptisch sitzt sie mir eine halbe Stunde später am Tisch gegenüber und durchbohrt mich mit ihrem mütterlich-vorwurfsvollen Blick.
» Brauchst du Geld?«, fragt sie schließlich mit ernster Miene.
Sie scheint sich wirklich Sorgen zu machen. Ich fahre normalerweise immer nur dann zu meinen Eltern, wenn ich entweder ganz schlimm krank bin oder wenn ich Liebeskummer oder die Nebenkostenabrechnung bekommen habe oder ein schreckliches Familienfest ansteht.
Ich schüttle den Kopf.
» Hast du Ärger im Job?«, bohrt sie weiter.
» Mama, ich bin selbstständig«, stelle ich genervt fest.
» Ja eben!«, ruft meine Mutter. Um es mal vorsichtig auszudrücken: Meine Eltern hofften bis zum letzten Tag meines Studiums, dass ich mich doch für was Richtiges entscheide– oder ihnen zumindest einen wohlhabenden, hochwohlgeborenen Schwiegersohn vorstelle. Wohlhabend ist mein Freund zwar, aber hochwohlgeboren… also eigentlich nur, wenn man das Gelsenkirchener Barock seiner Eltern für Antiquitäten hält. Vorgestellt habe ich ihn also noch nicht.
Meine Mutter setzt sich aufrecht hin und drückt die Schultern nach hinten. Das Signal kenne ich, es heißt so viel wie: Jetzt mal Butter bei die Fische!
Ich seufze. Dann packe ich aus. Ich klage ihr mein Leid, erzähle ihr, dass ich nicht weiß, warum Konrad mich liebt, weil ich eine egozentrische, anstrengende und neurotische Person bin, die ihre schlechten Angewohnheiten auf Hochglanz poliert und auf der Beziehungsebene allem Anschein nach und in Serie vollständig versagt.
Meine Mutter hört sich meinen Sermon stillschweigend an. Ich fühle mich wie eine Siebtklässlerin, die dem Direktor sagen muss, dass sie heimlich auf der Schultoilette geraucht hat. Ich schäme mich. Da haben meine Eltern versucht, alles richtig zu machen, mich zur musikalischen Früherziehung, zum Reiten, zum Ballettunterricht und zu den Pfadfindern geschickt, haben versucht, aus dem unförmigen Lehmklumpen einen selbstbewussten und gesellschaftlich akzeptablen, » gemochten« Menschen zu formen, und ich trete ihre Bemühungen mit Füßen und entwickle mich zu einer charakterlichen Geisterbahnfigur. Ich bin so furchtbar!
» Jetzt hör aber mal auf!«, sagt meine Mutter mit ordentlich Rumms in der Stimme. » Das ist doch Blödsinn, was du da erzählst!«
Aha. Blödsinn? Jetzt erzähl ich auch noch Blödsinn? Weil mir nix Besseres mehr einfällt, fang ich an ein bisschen zu heulen.
» Kind!« Meine Mutter steht auf und setzt sich neben mich. Dann nimmt sie mich in den Arm. Ganz lange. Ganz fest. So wie das halt nur Mütter machen.
» Hör mir mal zu. Das sind keine Macken. Das sind…«, sie zögert, » Special Effects! Ich werde dir jetzt nicht sagen, warum du so ein toller und liebenswerter Mensch bist. Das weißt du nämlich eigentlich selber.«
Bäh! Trotzkind! Ich will’s aber hören! Ich schniefe und versuche, mit meinem mitleidigsten Blick ihre Muttergefühle zu aktivieren.
» Juli! Reiß dich am Riemen!«, schimpft meine Mutter.
Blöde Kuh, nicht mal auf die ist noch Verlass!
» Warum kann Konrad mich lieben? Mit all den schrecklichen Dingen, die ich mache und sage?« Ich drücke noch einmal mit Schmackes auf die Tränendrüse.
Meine Mutter seufzt. » Erst mal war Konrad sehr, sehr lange in einer Beziehung. Das verschafft ihm einen Vorteil, immerhin warst du jahrelang Single. Er nicht. Er weiß, dass man denjenigen, mit dem man zusammen ist, besser so akzeptiert, wie er ist, oder man lässt es lieber gleich bleiben.« Ach, die Platte! Die kenn ich schon, die mag ich nicht
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