Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
Wochenende bei mir. Und deswegen wiege ich auch drei Kilo mehr als noch am Freitag. Vor einer Woche, als ich aufgrund exzessiven Sexkonsums feste Nahrung komplett verweigert habe, war es nicht schlimm, dass Konrad so lange in meiner Wohnung war. Nicht nur nicht schlimm, es war sogar schön.
Aber gerade jetzt wünsche ich mir, dass Konrad geht. Und bitte erst in drei Tagen wiederkommt. So lange werde ich nämlich vermutlich brauchen, um meinen Körper zu entgiften.
Ich tagträume von Abführtabletten und Glaubersalz. Ich wünsche mir ein schalldichtes Badezimmer und eine Wagenladung Raumspray. Ich habe schon mehrere Versuche gestartet, bin aufgebläht vom Sofa aufgestanden, habe Konrad ein » Ich bin mal kurz im Bad!« zugejapst, mich schwerfällig dorthin geschleppt, das Radio auf volle Lautstärke aufgedreht, das Fenster aufgerissen und in einem letzten Kraftakt den Türschlitz mit Handtüchern abgedichtet, nur um nach fünf Minuten erfolglos und den Tränen nahe zu kapitulieren. Ich KANN einfach nicht, wenn Konrad da ist. Selbst wenn es mein Ende bedeuten sollte.
Schattendasein
Sonntag, 28 . November, um 14 : 19 Uhr
» Auf dem Klo hat man immer die besten Ideen«, sagt mein Vater immer. Mein Vater ist ein Mann und hat deswegen genetisch bedingt weder Schwierigkeiten, auf Toilette zu gehen, noch Hemmungen, anschließend darüber zu reden. Ich fange an zu grübeln. Wieso fällt es mir schwer, in Konrads Beisein einem so natürlichen Grundbedürfnis nachzugehen? Was denkt Konrad mittlerweile? Es muss ihm längst spanisch vorkommen, dass ich in den letzten Stunden das Essen vollends eingestellt habe, um weiteres Aufblähen und anschließendes Platzen zu vermeiden. Vielleicht denkt er, ich hab Bulimie und kotze alles aus, bevor ich es verdaue. (Kennt er vielleicht von Nadine?) Oder er vermutet einen künstlichen Darmausgang. Nein, den hätte er längst gesehen. Vielleicht denkt er aber auch überhaupt nichts, weil Konrad sich über die Verdauung seiner Freundin genauso wenig Gedanken macht wie über die Eilmeldung, dass in den frühen Morgenstunden einem New Yorker Straßenverkäufer in der 3rd Avenue der koffeinfreie Kaffee ausging.
Aber woher kommen meine Hemmungen? Ich bin doch sonst nicht so. Jedenfalls nicht so unglaublich… mädchenhaft! Ich kann Platzwunden sehen und tote Tiere am Straßenrand, ich halte meinen Freundinnen beim Kotzen die Haare aus dem Gesicht und bespreche die gynäkologischen Details meines Sexuallebens gerne in der Öffentlichkeit. Ich kann beim Dschungelcamp hinsehen, selbst wenn sie Känguruhoden und Madenschleim essen müssen, und kann die ersten Takte von » Am Brunnen vor dem Tore« rülpsen. Wieso bin ich also dermaßen spießig, verklemmt und ganz und gar verdruckst, wenn es um den Toilettengang geht?
Wahrscheinlich liegt des Pudels Kern in meinen vergangenen Beziehungen. Die sind ohnehin an einer ganzen Menge schuld, an meinem Retterkomplex, meinen Bindungsängsten, meinen zumindest ab und an vorgespielten Orgasmen (nicht bei Konrad! Ich schwöre!) und der Angewohnheit, alle vier Wochen das Eisfach abzutauen.
Meine bisherigen Beziehungen sind im Nachhinein betrachtet nur bedingt glücklich gewesen. Meistens nur genau in dem Moment, in dem sie endeten. Die Zeit davor war geprägt von Ablehnung, fliegenden Tellern, verheulten Nächten und kopfschüttelnden Freundinnen. Wie gesagt, ich hatte nicht immer das beste Händchen, was die Auswahl meiner Herzbuben anging. Besonders bei meiner Alphabeziehung, also der bislang längsten und wichtigsten, bei Michael, habe ich die Grenzen des guten Geschmacks und des gesunden Menschenverstands gleich mehrmals übertreten. Ich habe diesen fürchterlichen Mann so fürchterlich geliebt, dass mir jedes Mittel recht war, mich ihm anzubiedern. Ich habe seine Seitensprünge verziehen (die, die er mir gestand) und ignoriert (die, die er mir nicht gestand), ihn nachts volltrunken von der Partymeile gepflückt und heimtransportiert, ihm ein Katerfrühstück zubereitet und seine Wohnung auf Vordermann gehalten, seine Hemden gebügelt, seine Knöllchen bezahlt, und ich habe sogar ein Wochenende mit ihm und seiner Mutter im Sauerland verbracht, was wohl das größte Opfer meines bisherigen Lebens war. Vor einem Mann, den ich nur mit viel Schmerz, Leid und Kummer und unter größter Anstrengung halbwegs an mich binden konnte, dem verheimlichte ich selbstverständlich auch meine Verdauung. So.
Da haben wir es. Michael ist schuld. Und ich ein bisschen.
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