Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
meine weitere Jahresbestleistung: im Lachen! Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal so herzlich und spontan gelacht hatte.
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Depression ist wie sterben bei lebendigem Leibe. Die Krankheit greift massiv nach dem Bewusstsein, das wir von uns selbst haben, dann gehen unsere Gefühle. Zunächst werden wir von unserem Mitgefühl für andere Menschen verlassen, der sicheren Einschätzung, was sie uns wert sind – dann drehen wir uns nur noch um uns selbst und unsere Probleme, was uns die ganze Umwelt als feindschaftlich erleben lässt – wir verlieren unsere Mitte, es verschwindet die Liebe zu uns selbst, unsere Selbstachtung und unser Selbstwertgefühl – und am Ende jedes Gefühl für unseren Körper. Wir erkalten und erstarren wie ein Lavastrom nach einer heftigen Eruption negativer Gefühle, der eigene Körper wird als etwas Fremdes angesehen, wir spüren uns kaum noch.
Das Körpergefühl zurückzuerobern ist ein wichtiger Schritt im Heilungsplan. Die Therapie setzt am Ende der Erkaltung an und arbeitet sich zum Anfang wieder durch: Körpergefühl, Selbstwahrnehmung, Selbstachtung und Selbstbewusstsein – und dann: die Liebe für andere Menschen, die Liebe zum Leben!
Ich bekam fast jeden Tag Massagen – Streicheleinheiten für den Körper. Das kannte ich natürlich auch aus meiner Zeit als Hochleistungssportler. Früher hatte ich die Zeit während der Massagebehandlungen aber nicht zur Entspannung genutzt, sondern Handyanrufe entgegengenommen, meinen Terminkalender sortiert und To-do-Listen ergänzt, um jede Minute zu nutzen. Man nimmt nicht den Augenblick wahr, sondern ist gedanklich schon ganz woanders. Diese Massage wirkt rein mechanisch. Nicht auf die Seele.
Die Massagen in der Klinik hatten eine ganz andere Dimension: Es ging um Körperwahrnehmung, die Konzentration auf den Augenblick, das Abschalten aller Grübeleien – das Anschalten aller Sinne. Man soll nicht denken, urteilen, werten, ablehnen – sondern ohne jede Absicht einfach nur aufnehmen und erfahren, im gegenwärtigen Moment verbleibend. Nicht die Zukunft mit seinen Träumen und Erwartungen durchstreifen, nicht der Vergangenheit nachtrauern mit ihren Ereignissen. Einfach sein – hier und jetzt. Dadurch, dass alle Aufmerksamkeit auf die unmittelbare Wahrnehmung des Erlebens gerichtet wird, vermeidet man Leiden, das durch Wertungen, Vorurteile und Emotionen gespeist wird. Man gerät in eine tiefe Konzentration, die einen alle Probleme vergessen lässt. Die Folge ist Entspannung und eine wohlige Wärme im Körper, die durch die Massage und die Rotlichtlampen noch verstärkt wird. Diese tiefe Entspannung macht weise. Für eine halbe Stunde wird die Seele zum Buddha, den kein Leid auf dieser Welt, keine Wut und keine Gewalt mehr verletzen kann.
Das waren für mich noch nie da gewesene Erfahrungen. Und ich kann jedem Menschen nur aus vollem Herzen raten, diese Art der geführten Entspannung einmal zu versuchen. Sie werden Dinge im Leben ganz anders, nämlich bewusst und wunderbar erleben.
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Mitte Januar ging es mir viel besser, ich war auf meiner Gefühlskurve im positiven Bereich, und schon überlegten wir mit Dr. Hettich, wann ich die Klinik verlassen könnte, um nur noch ambulant behandelt zu werden. Doch genau jetzt passierte etwas, das mich in meinem Genesungsprozess weit zurückwarf und mich in einen desolaten Zustand wie am Anfang meiner Therapie versetzte.
Ich hatte mich einer routinemäßigen EKG-Untersuchung unterzogen. Dr. Hettich bat uns zwei Tage später zu einem Gespräch. Die Auswertung der Ultraschallaufzeichnungen hätten mehrere Auffälligkeiten ergeben, unter anderem, dass mein Herz unnatürlich vergrößert wirke. Er schilderte uns sehr einfühlsam, dass der Verdacht bestehe, dass ich einen Herzinfarkt gehabt hätte. Rouja brach weinend zusammen, denn mit diesem Rückschlag hatte sie nach der ganzen Freude über meine aufsteigende Gefühlskurve absolut nicht gerechnet.
Mir fiel wieder ein, wie ich nach dem Anruf Fandels auf dem Flughafen plötzlich nicht mehr hatte laufen können und mir schwarz vor Augen geworden war, ich dachte an die Unfähigkeit, danach mein Lauftraining in der gewohnten Härte wieder aufzunehmen, meine Ängste, mitten im Spiel wieder diese Lähmungen und Krämpfe zu haben. Ich schreckte auf bei dem Gedanken an meine Atemnot, wie sehr ich nach Luft schnappen musste bei der ständigen Aufregung. Ich erinnerte mich, wie ich in den ganzen Wochen immer wieder
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