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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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ganzes Leben gewonnen hatte? Wenn es geschieht, sind wir selbst schuld. Wir können Widerstand leisten, indem wir aufstehen und gehen und sie alleine ihre Spielchen treiben lassen. Sie würden bald ihren Spaß verlieren und ganz einsam dastehen. Denn um zu herrschen, braucht man auch Menschen, die sich beherrschen lassen. Ich hätte gehen sollen, und wenn ich mir eines nicht verzeihen kann, dann, dass ich nicht gegangen bin. Die Schutzsperre wäre eine gute Gelegenheit gewesen, zur Besinnung zu kommen. Ich habe sie nicht genutzt. Die Digitaluhr pulst ihren Countdown. 4:30 – noch elf Stunden bis zum Spiel.
    ■ ■ ■
    Nach sechs Wochen »Schutzsperre« und Spielen in der zweiten und dritten Liga, die im Fernsehen längst nicht so viel Aufmerksamkeit bekamen, durfte ich endlich wieder in der 1. Bundesliga »ran«. Ich hatte Abstand gewonnen und mich scheinbar von meinen Niederlagen so erholt, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einem Spiel entgegenfieberte. Ich durfte endlich meine »Ersatzbank« wieder verlassen. Es machte mir Spaß, zu Hause die Sporttasche zu packen, ich wollte mir und allen anderen beweisen, dass Nürnberg und Berlin nur Ausrutscher gewesen waren. Am 6. März 2011 ging es zum Spiel Hamburger SV gegen Mainz 05, wieder Mainz 05, aber das würde ich schon hinkriegen – ein wichtiges Spiel im Kampf um die Europapokalplätze.
    Als wir an diesem Sonntagabend mit den Mannschaften auf dem Rasen der Arena aufliefen, fühlte es sich großartig an, endlich durfte ich wieder Bundesligaluft schnuppern. Das Spiel lief gut und ich fühlte mich auch gut, es war traumhaft, ich fühlte meine alte Form und Selbstsicherheit zurückkommen … bis zur 18. Spielminute. Ein Torschuss des HSV-Spielers Marcell Jansen aus ca. 16 Metern prallte von der Unterkante der Latte zurück auf den Boden. Aus meiner Position, die diesmal richtig gewählt war, hatte ich keine Chance zu bewerten, ob der Ball über der Linie gewesen war und ein Tor vorlag. Da die Entscheidung einer Torerzielung dem Assistenten an der Seitenlinie obliegt, übernahm ich seine sofortige und unnachgiebige Entscheidung und erkannte einen Treffer für den HSV zum 1:0 an. Nachdem der anschließende Anstoß ausgeführt worden war, bemerkte ich, wie ein lautes Raunen, fast wie ein kollektiver Schmerzensschrei, durch das Stadion ging. Hinter meinem Rücken war die Torszene auf der großen Stadionleinwand eingespielt worden. Und schlimmer noch: Auf den Bildern war zu sehen, dass es ganz klar kein Tor gewesen war, wie man dem jetzt anschwellenden Pfeifkonzert entnehmen konnte. Wieder ein Torfehler. Und wieder war Mainz betroffen. Und wieder war ich verantwortlich. Nein, das durfte einfach nicht wahr sein! Doch ich sah die Reaktionen auf der Mainzer Bank, wie Ersatzspieler und Trainer auf den vierten Offiziellen zuliefen, ihn anschrien, gestikulierten und heftig auf mich deuteten.
    Das um mich weiter tobende Spiel war in dieser Sekunde für mich bedeutungslos geworden. Ich sah nur noch die Folgen. Egal, wie das Spiel ausging – für mich war es gelaufen, es ging wieder alles von vorne los, nach sechs Wochen Schutzsperre und nur achtzehn Minuten Spieldauer. Es ist sehr einsam da unten auf dem Rasen in so einer Situation. Die Fehlentscheidung allein war schon schlimm genug – mit meiner Vorgeschichte wirkte sie wie ein Torpedo, der in einen Gastanker einschlägt. Man versucht ruhig zu bleiben, sich auf das Spiel zu konzentrieren, was in diesem Moment völlig vergeblich war. Verdammt, es waren noch 72 Minuten zu spielen. Wie sollte ich das in diesem Hexenkessel überstehen? Das Stadion brannte förmlich. Ich hatte sechs Wochen auf diese Chance für einen Neuanfang gewartet und jetzt ein »Wembley-Tor«. Im Gegensatz zum WM-Endspiel England – Deutschland 1966 im Wembley-Stadion (Endstand 4:2), in dem bis heute selbst mithilfe von Fernsehbildern nicht eindeutig geklärt werden konnte, ob der von dem Engländer Geoff Hurst abgegebene Schuss tatsächlich in vollem Umfang hinter der Torlinie landete, nachdem er von der Lattenunterkante abgeprallt war, war in meinem Spiel hingegen die Sachlage völlig klar. Es gab keine zwei Meinungen. Die hochauflösenden Kameras ließen keinen Zweifel – der Ball war noch vor der Torlinie aufgesprungen, ja, er hatte sie noch nicht einmal berührt.
    Ich sah übers Spielfeld zum Assistenten Christoph Bornhorst und erkannte Entsetzen in seinem Gesicht. Nicht nur wegen der sportlichen Ungerechtigkeit zu Lasten der Mainzer,

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