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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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sondern weil er sich vorstellen konnte, was jetzt gerade bei Fandel und Krug und Millionen Zuschauern vor den Bildschirmen und Radiogeräten passierte. »Wieder der Rafati!«, dachte auch ich in derselben Sekunde. Nur 18 Minuten zurück in der Bundesliga – und schon Schlagzeilenthema. Das war rekordverdächtig. Ich konnte mein Pech nicht fassen. Das war doch alles nicht mehr normal! Meine Beine wollten nicht mehr laufen. Ich versuchte, in Betrieb zu bleiben und mich nicht vor Wut und Enttäuschung auf den Rasen zu werfen. Jeder von uns kämpfte sich durch die letzten Minuten bis zur Halbzeitpause. Beim Verlassen des Spielfelds bedrängten uns die Mainzer Spieler aggressiv, die Reaktionen der Fans waren entsprechend. Wieder Mainz 05! Dann ging es in die Kabinen.
    Christoph Bornhorst saß auf dem Kachelboden im Duschraum und zog mit leerem Blick so heftig an der Zigarette, dass nur Glut zu sehen war. Ich ging zu ihm und tröstete ihn. Hierbei fielen überhaupt keine Worte der Kritik. Er hatte diese Entscheidung mit bestem Gewissen getroffen und Fehler sind menschlich. Ich redete auf ihn ein und investierte meine gesamte Kraft, um ihm zu zeigen, dass ich ihm die Entscheidung nicht persönlich übelnahm. Fandel war berüchtigt dafür, dass er bei Fehlern – angeblichen oder tatsächlichen – kein gutes Haar an seinen Assistenten ließ, sie sofort zur Rechenschaft zog und sie auswechselte. In unseren Telefonaten hatte er folgerichtig immer wieder Härte gegen meine Assistenten gefordert. Ich aber wollte Größe zeigen und es nicht wie Fandel machen. Ich ging in den Mannschaftstunnel, um mich den Vereinsverantwortlichen zu stellen. Die Reaktionen von Spott bis Wut ließen nichts Gutes erwarten. »Wieder der Rafati!« Als ich die Mannschaften aus den Kabinen holte, sagte ich zu den Mainzer Spielern, dass ich gehört hätte, das Tor sei eine Fehlentscheidung gewesen. Dass sie aber bitte meinen Assistenten in Ruhe lassen sollten, da er deswegen selbst am Boden zerstört sei. Eisiges Schweigen.
    In der zweiten Halbzeit war die Unruhe dramatisch zu spüren. Hier hatte ich ein ganzes Stadion gegen mich. Wie in Nürnberg. Die aggressiven, verachtenden oder spöttischen Blicke der Spieler, das gellende Pfeifkonzert, die Schmähgesänge, wenn du den Stadiontunnel verlässt. Als Schiedsrichter bist du unten durch. So etwas geht an niemandem spurlos vorbei.
    Nach dem Spiel war überall in den Medien das »Wembley-Tor« Thema. Über jeden Bildschirm flimmerten Bilder, die so eindeutig zeigten, dass es kein Tor gewesen war, so sonnenklar, dass sich jeder fragen musste, wie blind man sein musste, um das nicht zu sehen. In der Pressekonferenz stellte ich mich den Journalisten, um unseren Fehler zuzugeben, und gab eine Analyse der Ursache, wie es zu solch einer falschen Wahrnehmung kommen kann. Das menschliche Auge ist keine Kamera, hat keinen Zoom und kein Replay. Eine Millisekunde am falschen Platz oder nur ein bisschen abgelenkt – und schon rutscht dir die Szene durch. So wird es auch bei Christoph Bornhorst gewesen sein, der sich das selbst alles nicht erklären konnte. Als verantwortlicher Spielleiter aber war ich jetzt wieder der Idiot der Nation, ohne etwas dafür zu können. Ich sah schon die hungrigen Wölfe, die mich zerfleischen wollten … Bornhorst war nach dem Spiel sichtbar angeschlagen und ich fragte mich besorgt, ob er mit dem Auto nach Hause fahren sollte. Die Heimfahrt mit meinem anderen Assistenten nach Hannover war schweigsam und voller Anspannung verlaufen, erst um 2 Uhr morgens kam ich zu Hause an. Ich weiß noch, wie ich die Tür zu meiner Wohnung aufschloss, die ich am Vortag so gut gelaunt und voller Hoffnung verlassen hatte. Als ich meine Sporttasche auspackte, stellte ich mir vor, es wäre noch vor dem Spiel, ich würde alles einpacken und hätte noch die Chance, dass alles gut verlaufen würde. Auf meinem Handy surrte die SMS von Christoph Bornhorst auf, dass er total fertig sei – aber heil zu Hause angekommen sei. Ich ging um vier Uhr früh ins Bett. Um sieben würde der Wecker Alarm schlagen und ich würde wie jeden Montag nach einem seelisch sehr belastenden Spiel in die Arbeit gehen. Wieder wäre ich Gesprächsthema. Jeder würde im Sportkanal gesehen haben, was geschehen war oder es im Sportteil der Montagszeitungen gelesen haben und mich ansprechen. Ich hatte wieder einen Spießrutenlauf vor mir, ich müsste wieder den starken, unerschütterbaren Rafati mimen, obwohl es drinnen in mir so düster

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