Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
meinte. Er nickte nur schweigend. Geholfen hat mir das nicht.
In der Zeitung stand am Tag danach: »Nach Horrorleistung in Berlin – wer stoppt Schiri Babak ›Tomati‹? Letzte Woche hatte er sich den Zorn der Nürnberger zugezogen. Diesmal war Fortuna das Opfer, der 40-Jährige aus Hannover mutierte auch in Berlin wieder zu Babak ›Tomati‹«.
Fußball ist zu schnell, um jeden Spielzug dreimal zu hinterfragen. Man muss im Flow sein, alles auf einmal wahrnehmen, mit dem ganzen Bewusstsein im Spiel mitschwimmen und sicher entscheiden. Man ahnt im Voraus, was kommt, entwickelt eine hellseherische Sicherheit, hat alles im Griff. Es ist wie beim Skifahren: Wenn man gut fährt, legt sich der Körper instinktsicher in die richtige Position – wenn man zu lange nachdenken muss, ängstlich zögert, unsicher reagiert, liegt man im Schnee und bricht sich die Beine.
Seit Nürnberg trat ich bei Spielen bewusst defensiv, ja bisweilen zaghaft und ängstlich auf, weil ich vermeiden wollte, weiterhin aufzufallen. Meinen Assistenten blieb das nicht verborgen. Sie baten mich, zu meinem alten Stil zurückzufinden und wieder präsenter aufzutreten. Die verzagte Selbstkontrolle, so meinten sie, würde mich letztendlich nur zusätzlich verunsichern und daran hindern, wieder volle Leistung zu bringen. Sie hatten recht.
Die Tipps meiner Assistenten waren gut gemeint, aber sie bewirkten das Gegenteil. Aus Verunsicherung »eierte« ich nur noch mehr herum. Ich befürchtete, sie hielten mich bereits für zu schwach und ich hätte ihr Vertrauen und damit meine Führungsfunktion verloren. Ich wollte keine Rücksicht und kein falsches Mitleid, misstraute meinen und ihren Entscheidungen und fand nicht mehr in meinen Spielfluss. Der Mann, den ich in den Video-Aufzeichnungen sah, das war nicht mehr ich. Manchmal ertappte ich mich, wie ich den Bildschirm anschrie: »Mann, nun mach doch – ist doch ein klares Foul!« Um dann zu realisieren, dass ich selbst der Schiri auf dem Bildschirm war. Es war verrückt.
Auch privat nahmen viele Veränderungen an mir wahr: Meine gebeugte Körperhaltung und die Tatsache, dass ich den Blicken anderer Menschen auswich, die ich früher neugierig offen angelächelt hatte, war ein deutliches Zeichen für meine seelische Angegriffenheit. Auf der Homepage der Sparkasse Hannover hatte ich noch Wochen zuvor als Werbung für den Nachwuchs geschrieben: »Als Schiedsrichter hast Du die Möglichkeit, Dich persönlich weiterzuentwickeln, denn das Pfeifen fordert und fördert Deine Stressbeständigkeit – in schwierigen Situationen gilt es cool zu bleiben – und Dein Selbstbewusstsein.« Genau dieser Stress hatte mein Selbstbewusstsein zerstört. Meine innere Stimme rief mir immer wieder zu, einen Schlussstrich zu ziehen und angesichts der neuen Bedingungen mein Amt als Schiedsrichter niederzulegen. Aber ich tat es nicht.
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Der Druck aus der Öffentlichkeit und den Medien gegen mich war ungeheuer. Ich war das Synonym für alles, was schieflief in der Schiedsrichterschaft in der Nachfolge von Volker Roth. Während andere in meinem Windschatten völlig unbeachtet und ungestraft, wie es schien, ihre Fehlentscheidungen abfeiern durften, war ich für Herbert Fandel längst zu einer Belastung geworden, für den ganzen DFB, der endlich Ruhe haben wollte in der Bundesliga nach all den Skandalen. Zu Hause sagte Rouja, ich solle mich doch nicht dermaßen verunsichern lassen, denn sie bemerkte, dass ich mich von allem zurückzog, nicht mehr ausging, mit keinem Kollegen telefonieren, geschweige denn Fußball sehen wollte. Ich verlor den Kontakt und die Wertschätzung zu meinem Selbst.
Morgens vor den Gesprächen mit Fandel sperrte ich mich in der Küche ein, schließlich wollte ich nicht, dass Rouja mitbekam, wie schwach ich Fandel gegenüber auftrat. Mit Herzrasen rief ich ihn an. Oft wählte ich seine Nummer mehrmals und unterbrach, weil ich schluchzte und mich erst wieder fangen musste. Das Ergebnis dieser Telefonate war immer dasselbe: kein Zuspruch, keine Wertschätzung. Immer nur massive Kritik, die teilweise ins Persönliche ging. Ich müsse anders auftreten, ich müsse mich von der Volker-Roth-Ära distanzieren, ich als FIFA-Schiedsrichter sei es wohl nicht gewohnt, kritisiert zu werden, ich müsse an mir arbeiten usw. Niemals wurde mir die Hand gereicht. Diese Drucksituation begleitete mich immer tagelang nach den Telefonaten.
Diesmal war Fandel seltsam ruhig, er meinte, dass ich wohl den Kopf nicht frei
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