Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
aussah.
Ich bekam in den folgenden drei Stunden bis zum Weckerklingeln kein Auge zu. Wir haben eine Digitaluhr, die die Zeit in rotem Licht an die Wand unseres Schlafzimmers beamt. Ich sah, wie die Sekunden und Minuten verrannen. Warum musste ich so viel Pech haben? Die Wirkung der sechswöchigen Schutzsperre war verloren. Die ganze Diskussion um meine Schiedsrichterleistung würde erneut losbrechen, obwohl ich für diese »Wembley«-Fehlentscheidung wenig konnte. Ich dachte über meine Zukunft nach und hörte den Atem von Rouja, die unruhig neben mir schlief. Am liebsten wäre ich gar nicht wieder aufgestanden. Montag früh lag ein Marathontag vor mir. In der Bank stapelten sich die Vorlagen auf meinem Schreibtisch, mein Terminkalender war randvoll und dann stand auch noch das Gespräch mit Herbert Fandel an, das mich – da war ich sicher nach dem Wembley-Tor – an den Rand des Erträglichen bringen würde. Damit nicht genug, ich hatte jetzt schon zig SMS und Mails mit Interviewanfragen diverser Sportjournalisten. Der Tag verhieß nichts Gutes.
Am nächsten Morgen entdeckte ich noch etwas. Der Spielebeobachter der Begegnung war erneut ein Mitglied der DFB-Schiedsrichterkommission, Lutz Michael Fröhlich, gewesen. Ich hatte nach dem Spiel in unserem System nachgeschaut, welche Note er mir gegeben hatte – sie war dem Anlass entsprechend und musste akzeptiert werden. Als ich kurze Zeit später noch einmal nachschaute, fand ich meine Note deutlich nach unten verschlechtert vor. Ich bat Fröhlich um eine Erklärung und sagte, dass Krug ihn wohl angewiesen habe, eine schlechtere Note einzutragen. Fröhlich ließ das unkommentiert und antwortete, er sei überrascht, dass seine Benotung schon im System gewesen sei. Was bedeutet: Sie wurde nachträglich zu meinem Nachteil nach unten korrigiert. Das konnten nur Fandel und Krug veranlasst haben. Die Unabhängigkeit der Spielebeo bachter war für mich endgültig infrage gestellt und ihr Missbrauch als Machtinstrument gegen mich seit Nürnberg immer wahrscheinlicher.
Ich musste noch Fandel anrufen. Und dieses Gespräch konnte ich unmöglich in Gegenwart meiner Kollegen führen. So machte ich mich auf die Suche nach einer ungestörten Ecke im großen Hauptgebäude der Sparkasse Hannover. Im dritten Obergeschoss in der Nähe der Kantine fand ich einen Seminarraum, in dem ich mich verbarrikadierte, um ungestört sprechen zu können. Ich stand zwischen Türmen aus Stühlen, als ich Fandel anrief. Das Gespräch begann wie immer im Tonfall seiner enttäuscht wirkenden Begrüßung, deren Wirkung durch seine gesenkte, tonlose Stimme noch verstärkt wurde: «Hallo, Babak.« Pause. Mehr nicht. Das Gespräch mit unserem Schiedsrichterobmann war kurz, aber sehr vielsagend. Der Ton war wie immer eiskalt und abweisend. Mit den Spielen in Nürnberg und Hamburg, so Fandel, würde mein Name immer im Fokus der Öffentlichkeit bleiben und die Schiedsrichterschaft belasten, mich selbst eingeschlossen. Er machte mir wenig Hoffnung, wieder aus meinem Tief zu kommen.
Seine Einschätzung der Lage hatte bei mir die Wirkung einer Enddiagnose zwischen Arzt und Krebspatient. Es sei halt so, »Fußball ist ein Geschäft, das Menschen verbrennt, Babak«. Mir lief es panikartig erst eiskalt, dann ganz heiß den Rücken herunter. War das die Kündigung? Ich sagte, dass Nürnberg ein Ausrutscher gewesen sei, dass jeder mal einen Fehler mache und dass ich doch für das Hamburgtor überhaupt nichts könne. Ich dachte auch an die Roten Karten von Krug und Fandel und wie sie durch das Sportgericht revidiert worden waren und dass die beiden dafür noch ganz schön weit gekommen waren auf ihrer eigenen Karriereleiter. Aber Fandel fuhr eiskalt fort. Das sei egal, es würde in den Medien, den Vereinen, bei Spielern und Fans immer nur heißen »… und wieder der Rafati!« und, setzte er hinzu: »Wir müssen in der Schiedsrichterkommission gucken, was wir mit dir machen.«
Und dann fiel der Satz, den ich leider so unermesslich persönlich nahm und der mich schon die ganze Nacht in diesem Kölner Hotel so vernichtend beschäftigt hatte: »Alle Schiedsrichter dürfen Fehler machen, nur du nicht mehr, Babak.« Das kam ohne jedes Mitgefühl. Fast hämisch, wie mir schien. Mein Eindruck war: Da urteilte einer über mich und ließ mich seine Verachtung spüren. Erbarmungslos. Es war für mich ein tiefer, ehrverletzender Schlag, der nicht mehr aus meinem Gedächtnis weichen sollte. Diese emotionslos vorgetragene
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