Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
frühzeitig zu entlassen, aber mit meiner Unterschrift bestätigte ich die, wie ich fand, überflüssige Belehrung und nahm das »Risiko« auf mich. Für mich war doch in diesem Moment das Wort »Risiko« gar nicht mehr relevant, nach all dem, was ich »riskiert« hatte, nämlich mein Leben. Für mich war nur die Frage von Bedeutung, was mich draußen erwarten würde. In der Klinik hatte ich mich in einem geschützten Raum befunden. Wie man mich trotz der fürchterlichen Geschehnisse »Laufen« ließ, bleibt mir noch heute ein Rätsel. Das Problem der Entlassung war nun, dass vor der Klinik immer noch oder schon wieder Journalisten warten würden, um mich abzufangen. Ich wollte von niemandem gesehen werden, geschweige denn von vielen Blitzlichtern geblendet oder Kameras belagert werden. Mithilfe der Chefärzte und der Krankenschwestern führte man uns zum Hinterausgang und schleuste uns unerkannt hinaus.
»Bundesliga-Schiedsrichter Babak Rafati hat das Krankenhaus in Köln nach seinem Selbstmordversuch am Samstag verlassen und ist wieder in seine Heimatstadt Hannover zurückgekehrt. Das bestätigte die Geschäftsführung des Hospitals dem Rundfunksender WDR 2. Im Krankenhaus sei das in solchen Fällen übliche psychologische Gutachten angefertigt und Rafati anschließend nach Hause entlassen worden, hieß es seitens der Kölner Klinik weiter.« Ich entkam den Medien nicht.
Ich dachte noch, ich wäre wieder frei. Die frische Luft, die Bäume, das natürliche Tageslicht … Ich hatte das Gefühl, dass ich schon Jahre nicht mehr draußen gewesen war. So müssen entlassene Straftäter fühlen, wenn sich die Tore hinter ihnen schließen und sie nach Hause dürfen. Zum Abschied hatte der Psychologe Rouja ungläubig gefragt, ob ich ihm wohl etwas vorgespielt hätte, wie sie meinen wirklichen Zustand einschätzen würde und ob sie sich wirklich zutrauen würde und die Kraft hätte, mich gesund zu pflegen. Wir fuhren winkend ab. Wir wussten nicht, wie schnell wir wieder hier sein würden.
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Es begann meine Irrfahrt durch Köln. Die Notärzte hatten mich nackt aus der Badewanne geborgen, meine ganzen Sachen lagen noch im Hotelzimmer, das von der Spurensicherung immer noch versiegelt war. Ich hatte noch nicht mal Schuhe an, sondern Stoffbadelatschen mit blauem Überzug aus Plastik und, soweit ich mich erinnere, einen Krankenkittel aus der Klinik. Ich sah aus wie ein Patient auf der Flucht vor der OP. Das Hotel hatte uns am Telefon gesagt, dass wir zunächst zur Polizei müssten, für die Genehmigung zum Siegelbruch, dort seien auch noch meine Brieftasche, das Handy und weitere persönliche Gegenstände abzuholen. Ein völlig normaler Vorgang. Meine Reaktion darauf aber zeigte, in welchem Zustand ich am Sonntag nach meiner Tat wirklich war: Ich bekam Panik. Jedes Auto, das länger hinter uns herfuhr, sah ich als Bedrohung an. Ich hatte mich auf der Rückbank versteckt, den Kopf tief unter den Seitenfenstern, damit mich keiner der zahlreichen Passanten an den Ampeln, an denen wir halten mussten, sehen und erkennen würde. Mein Bild war nach den vielen Medienberichten jedem Kind bekannt und überall sah ich Handykameras und Fotografen lauern. Ich lag hinten auf der Rückbank in meinen Klinikklamotten, hin und her geschleudert im Kölner Straßenverkehr, den Rouja mit bemerkenswertem Talent meisterte, weil auch ihr klar war: Wir mussten hier weg.
Die ganze Situation hatte etwas Slapstickhaftes, aber mir war nicht zum Lachen zumute. Im Gegenteil. Irgendwie wusste ich nicht, wie meine Familie damit umgehen würde, mich in diesem Zustand zu sehen. Dieser Mensch, der doch immer so stark und krisenresistent gewesen war, lag plötzlich in einem lächerlichen weißen Kittel und Badelatschen auf der Rückbank eines Autos und musste sich wie ein Verbrecher verstecken. Was würden sie insgeheim tatsächlich von mir denken? Sie könnten mich als einen großen Feigling ansehen, der vor seinen Problemen davonlaufen wollte. Hier entstand – nur wenige Minuten nach meiner Entlassung aus der Klinik – ein weiterer meiner »Kicks«, in die ich mich hineinsteigerte. Misstrauen und Angst sind wie eine Säure, die dich zerfrisst. Ich sah überall nur das Negative. Sah Bedrohungen, wo keine waren. Meine Gedanken hatten mich wieder eingeholt und mein Kopfkino funktionierte wieder hervorragend. Meine Angst und mein Misstrauen, was andere denken würden, wurden immer heftiger. Ich wusste immer noch nicht, wie krank ich wirklich war.
Wir
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