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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Ahern
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mehr daran erinnern? War ich so eine schlechte, unsensible Tochter, dass man mir so leicht etwas vormachen konnte? Ich dachte an unsere Wochenendreisen – was hatte ich da vor lauter Begeisterung nicht mitgekriegt? Ich dachte daran, wie Mum oft so müde gelächelt hatte, wenn Dad etwas sagte, dass sie nie so überschwänglich gewesen war wie viele andere Mütter, dass sie fast nichts von sich erzählte. Nein, das hatte nichts zu bedeuten. Sie war einfach nicht emotional, sie weinte nie, sie war nicht sentimental, aber das bedeutete doch nicht, dass sie
depressiv
war. Nein, nein, nein, wie konnte Rosaleen es wagen, meinen Vater als Lügner hinzustellen, wo er sich jetzt nicht mal mehr verteidigen konnte. Das war nicht richtig. Alles war falsch.
    Weseley versuchte mich festzuhalten und zu beruhigen, aber ich schrie einfach weiter, daran erinnere ich mich genau. Und dann erinnere ich mich, wie Schwester Ignatius endlich wieder zu sich kam, aufstand und mit weit ausgebreiteten Armen und ihrem lieben, traurigen, alten Gesicht auf mich zukam. Tatsächlich wirkte sie auf einmal viel älter als noch vor ein paar Minuten, so bekümmert und voller Mitgefühl, dass ich sie kaum anschauen konnte.
    »Tamara, hör mir bitte zu …«, sagte sie, aber ich wollte ihr nicht zuhören, sondern schob sie weg, drehte mich um und lief einfach davon. Ich weiß noch, dass ich rannte, so schnell ich konnte, immer weiter, ohne auf ihre Rufe zu achten. Ein paarmal fiel ich hin, spürte, dass Weseley dicht hinter mir war, aber bevor er mich packen konnte, rannte ich schreiend weiter, immer schneller, weil ich glaubte, er wäre mir dicht auf den Fersen. Wann er die Verfolgung aufgab und beschloss, mich einfach laufenzulassen, weiß ich nicht, denn ich rannte blindlings weiter, trotz der Stiche in meiner Brust, obwohl ich kaum noch Luft bekam. Heiße Tränen strömten aus meinen Augenwinkeln. So rannte ich aus dem Wald und mitten auf die Straße. Ein Motor heulte auf, Reifen quietschten, ich hörte ein schrilles Hupen und erstarrte. Buchstäblich. Ich wartete darauf, dass die Stoßstange mich in die Seite treffen und über die Windschutzscheibe hinweg in die Luft schleudern würde. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen spürte ich nur die Hitze des Motors, direkt an meinem Bein, ganz nah, zu nah, aber der dunkle Teil meiner selbst, mein Schatten, fand es längst nicht nah genug. Dann wurde die Autotür aufgerissen und eine laute Stimme drang an mein Ohr. Ein Mann. Ich presste die Hände auf meine Ohren und schrie und weinte und konnte mich nicht beruhigen, während die Männerstimme immer wieder meinen Namen brüllte. Wütend, angriffslustig, vorwurfsvoll. Als wäre alles meine Schuld.
    Aber dann wurde die Stimme allmählich weicher, Arme legten sich um mich, und auf einmal wurde ich sanft gewiegt, der Lärm verebbte, und mir wurde klar, dass ich mich in Marcus’ Armen befand, dass der Bücherbus neben uns stand und dass ich völlig unkontrolliert in Marcus’ Hemd schluchzte.
    Schließlich sah ich zu ihm auf. Sein Gesicht war besorgt und ängstlich.
    »Und wohin fahren wir jetzt? Paris? Australien?«, fragte er leise und lächelte.
    »Nein«, schluchzte ich. »Ich will nach Hause. Ich will einfach nur nach Hause.«
    Kurz darauf saßen wir im Bücherbus und waren unterwegs nach Killiney. Lange Zeit sagte ich kein Wort. Anfangs hatte Marcus alle möglichen Fragen gestellt, aber schließlich gab er es auf. Irgendwann jedoch versiegten meine Tränen, ich wischte mir die Augen zum letzten Mal mit meinem vollgeheulten Taschentuch, holte tief Luft und atmete ebenso tief wieder aus. Ich zitterte nur noch ein kleines bisschen, aber ich fühlte mich schwach und müde von meinem Gefühlsausbruch.
    »Das klingt schon besser«, meinte Marcus, als wir an einer roten Ampel hielten, und sah mich an. »Und bist du jetzt bereit, mit mir zu reden?«
    Ich räusperte mich und lächelte ihn vorsichtig an. »Hallo, Marcus. Am liebsten möchte ich mich jetzt so richtig volllaufen lassen.«
    »Weißt du, was, genau daran habe ich auch gedacht.« Mit einem verschmitzten Lächeln fuhr er los, als die Ampel grün wurde, und hielt kurz darauf vor einem Spirituosengeschäft. »Du gefällst mir«, sagte er, ehe er die Tür zuwarf und in den Laden rannte.
    Eigentlich hätte ich es ihm da sagen müssen. Laut und deutlich. Wie alt ich war. Das hätte uns eine Menge Ärger erspart. Knapp drei Wochen bis zu meinem siebzehnten Geburtstag, und siebzehn war wahrscheinlich

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