Ich schreib dir morgen wieder
bleiben, griff ich danach, obwohl ich keinerlei Impuls dazu verspürte, und schon klatschte ihre Hand auf meine, damit ich ihr das kleine Kunstwerk nicht wegnahm.
»Nein«, sagte sie mit fester Stimme.
»Okay«, antwortete ich lächelnd. »Okay.«
Später saß ich im Bett, konnte nicht einschlafen, weil ich wusste, dass Mum mich wecken würde, und las den Tagebucheintrag für den nächsten Tag. Ich hatte Zweifel, dass er akkurat war, denn die Ereignisse würden nun ja wahrscheinlich anders verlaufen.
Freitag,
24
. Juli
Herzlichen Glückwunsch zu meinem Geburtstag! Jetzt bin ich also siebzehn. Heute Morgen bin ich zur Abwechslung mal wieder normal aufgestanden, und Rosaleen war ganz überrascht, mich zu sehen. Ich glaube, als ich in die Küche gekommen bin, hat sie in der Speisekammer fast einen Herzschlag gekriegt. Wer weiß, was sie im Schilde führt – sie sah jedenfalls total schuldbewusst aus und hat hastig irgendwas in ihrer Schürzentasche verschwinden lassen. Könnte natürlich auch etwas für den Kuchen gewesen sein, aber ich weiß nicht recht …
Sie hat mich unbeholfen umarmt und mir einen Kuss gegeben. Dann ist sie mit dem üblichen Tablett losgezogen, um Mum das Frühstück zu bringen und mein Geschenk aus ihrem Schlafzimmer zu holen. Kurz darauf kam sie mit einem perfekt eingepackten Päckchen zurück, rosa Papier mit weiß-rosa Band. Darin war ein Korb mit Erdbeer-Schaumbad, Seife und Shampoo. Während ich auspackte, sah sie mir eifrig und mit angehaltenem Atem über die Schulter, so gespannt war sie. Natürlich hab ich ihr gesagt, dass ich das Geschenk toll finde, und ich hab mich auch echt gefreut. Aber die Situation war neu für mich. Zu meinem sechzehnten Geburtstag letztes Jahr hab ich eine Handtasche von Louis Vuitton und ein Paar Gina-Schuhe bekommen, dieses Jahr kriege ich Schaumbad und ein Shampoo-Set. Seltsamerweise bin ich dafür aber dankbarer, denn ich brauche die Sachen tatsächlich. Mein gutes Shampoo ist fast alle, und mit Louis Vuitton sind die Eichhörnchen in der Gegend nicht sonderlich zu beeindrucken.
Aber dann hat Rosaleen etwas sehr Merkwürdiges gesagt: »Man sollte es ja nicht glauben, aber ich hab die Sachen letzten Monat gesehen und im Stillen gedacht und sogar laut zu Arthur gesagt: ›Schau mal, das ist doch was für Tamara!‹ Seither habe ich es in der Garage versteckt und immer befürchtet, dass du es findest«, hat sie dann noch mit einem nervösen Kichern hinzugefügt.
Ich hab eine Gänsehaut gekriegt. Rosaleen ist viel cleverer, als ich ihr zugetraut hätte. Garantiert war nicht dieses Seifenkörbchen der Grund, weshalb sie nicht wollte, dass ich in die Garage gehe oder wir unsere Sachen dort unterstellen. Entweder ist sie cleverer, oder sie hält mich für blöd. Jetzt ist mein Wunsch, die Garage zu erforschen, natürlich noch dringlicher geworden.
Mum hat wieder den ganzen Tag geschlafen. Zoey und Laura haben angerufen und mir gratuliert. Ich hab Rosaleen aufgetragen,
sie soll ihnen sagen, dass ich nicht da bin.
Auch Schwester Ignatius ist mit einem Geschenk für mich vorbeigekommen.
Rosaleen hat ihr natürlich angeboten, es mir zu geben, aber Schwester Ignatius wollte es persönlich überreichen. Je länger ich ihr aus dem Weg gehe, desto schlimmer mache ich es. Immer mehr Dinge häufen sich an, für die ich mich entschuldigen muss. Ich glaube, Schwester Ignatius ist die beste Freundin, die ich jemals hatte, aber ich möchte mich zurzeit vor der ganzen Welt verstecken. Ich will einfach nicht, dass jemand mich sieht.
Nach dem Essen kam Rosaleen mit einem Schokoladenkuchen aus der Speisekammer und hat »Happy Birthday« für mich gesungen.
Also ist sie heute früh wohl wirklich deshalb so erschrocken, weil sie mit dem Kuchen beschäftigt war und mich nicht erwartet hat. Vermutlich ist es jetzt zu spät, ihre Schürzentasche zu untersuchen.
Ich schreibe morgen weiter.
Zugegebenermaßen hatte ich in den letzten Wochen nicht allzu viel an meinen Geburtstag gedacht, und wenn, dann mit einem unguten Gefühl – wegen Marcus. Wenn wir doch nur gewartet hätten. Wenn ich ihm doch nur die Wahrheit gesagt hätte. Ich hatte mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, wie ich feiern wollte oder wie ich in meinem früheren Leben gefeiert hätte oder mit welchen Geschenken man mich vom Aufwachen bis zum Einschlafen überhäufen würde. Aber die Einträge von gestern und heute hatten mir ganz schön eingeheizt. Ich war richtig aufgeregt.
Es kam mir vor,
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