Ich schreib dir morgen wieder
Zeit mit Staubwischen im Schlafzimmer der Kilsaneys verbrachte, wenn Mrs Kilsaney gerade mit den Hunden unterwegs war.
Dem kleinen Mädchen fiel irgendwann auf, dass Mrs Kilsaney eine heftige Abneigung gegen verwelkte Blumen hatte und im Vorübergehen fast zwanghaft jede Vase inspizierte. Wenn die Nonne alle drei Tage mit frischen Blumen aus ihrem Garten eintraf, strahlte sie vor Freude. Aber sobald die Tür sich wieder hinter der Frau geschlossen hatte, begann Mrs Kilsaney, unzufrieden an ihnen herumzupicken und alles abzuzupfen, was nicht perfekt war. Das kleine Mädchen liebte Mrs Kilsaney, liebte ihre Tweedkostüme und ihre braunen Reitstiefel, die sie auch trug, wenn sie gar nicht ausritt. Trotzdem beschloss das kleine Mädchen, dass sie später einmal, in ihrem eigenen Haus, möglichst alles mitkriegen wollte, was vorging. Sie verehrte ihre Herrin, aber sie hielt sie für töricht.
Auch von dem unverhohlenen Geturtel des Ehemanns mit dem hässlichen Zimmermädchen war sie nicht angetan – wie er sie mit dem Staubwedel am Hintern kitzelte und sich so kindisch benahm, als wäre er bestenfalls so alt wie das kleine Mädchen. Er dachte, das kleine Mädchen würde davon nichts mitbekommen und wäre sowieso zu jung, um es zu verstehen.
Sie beobachtete alles. Und sie schwor sich, dass ihr später einmal, wenn sie groß war, nichts von dem entgehen würde, was in ihrem Haus passierte.
Am liebsten jedoch beobachtete sie die beiden Jungen. Sie waren immer zu Streichen aufgelegt, rannten durch die großen Räume des Schlosses, richteten Chaos und Verheerung an, brachten das Dienstmädchen zum Schreien und sorgten für Krach und Radau. Am meisten interessierte sie der Ältere der beiden. Von ihm ging immer die Initiative aus, er hatte die Ideen. Sein jüngerer Bruder war sensibler und machte oft nur deshalb mit, weil er Schlimmeres verhindern wollte. Der Ältere hieß Laurence, aber alle nannten ihn Laurie. Er bemerkte das kleine Mädchen überhaupt nicht, aber sie war immer da, irgendwo am Rande des Geschehens, stets anwesend, ohne eingeladen zu sein. Aber in ihrer Phantasie nahm sie an den Spielen der beiden teil.
Nur der Jüngere – Arthur, den man Artie rief – bemerkte sie. Zwar forderte auch er das kleine Mädchen nie auf mitzuspielen – er tat nie etwas aus eigenem Antrieb, sondern folgte einfach den Anweisungen seines Bruders –, aber wenn Laurie mal wieder irgendeine Dummheit machte, dann sah Artie sie vielsagend an oder machte einen kleinen Witz für sie. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn er das nicht getan hätte. Ihr größter Wunsch war es, dass Laurie sie bemerkte, und je länger er sie ignorierte, desto größer wurde ihre Sehnsucht. Manchmal, wenn sie ihm allein irgendwo begegnete, trat sie ihm absichtlich in den Weg. Wenn er doch wenigstens einmal stehen bleiben und sie anschauen würde! Es hätte ihr auch nichts ausgemacht, wenn er sie angeschrien hätte. Aber er tat nie etwas dergleichen, nein, er machte einfach einen Bogen um sie herum. Wenn Laurie beim Versteckenspielen nach Artie suchte, half sie ihm und deutete heimlich auf die Stelle, wo Artie sich verkrochen hatte. Aber nicht einmal dann nahm er Notiz von ihr, sondern suchte an den falschen Stellen, bis er Artie irgendwann zurief, er würde aufgeben. Laurie wollte einfach nichts mit dem kleinen Mädchen zu tun haben.
Das kleine Mädchen fehlte oft in der Schule, um Zeit im Schloss verbringen zu können. Am besten fand sie die Sommerferien, denn da hatte sie die Tage zur freien Verfügung und musste nicht so tun, als hätte sie Husten oder Bauchweh. In einem dieser Sommer, als das kleine Mädchen sieben und die beiden Jungen acht beziehungsweise neun Jahre alt waren, spielte sie alleine draußen im Garten, als ihre Mutter sie ins Schloss rief. Die Kilsaneys waren mit ihren Verwandten in Balbriggan auf der Fuchsjagd. Mrs Kilsaney hatte die Köchin auf ihr Zimmer geholt, um ihr beim Aussuchen ihrer Kleidung zu helfen – sie hatten sich für ein bodenlanges olivfarbenes Seidenkleid entschieden, kombiniert mit einer Perlenkette und einem Pelzmantel. Den Tag über war nun die Mutter des kleinen Mädchens dafür zuständig, dass im Schloss alles nach Plan lief. Als das kleine Mädchen ankam, sah sie schon an den Gesichtern der beiden Jungen, dass sie Ärger hatten.
»Das Wetter ist wunderschön, also geht gefälligst raus zum Spielen, dann kriegt ihr frische Luft und steht mir nicht dauernd im Weg rum«, sagte ihre Mutter gerade.
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