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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Ahern
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Rosaleens Mutter? Musste ich damit rechnen, dass sie plötzlich mit einer Glasscherbe auf mich losging, um mich zu verjagen?
    Aber ich sah nur den Rücken der Gestalt, die sich, eingehüllt in eine lange braune Jacke, über eine Werkbank beugte. Sie hatte lange dünne Haare, mehr grau als braun, die aussahen, als wären sie mindestens einen Monat nicht gekämmt worden. Eine Weile beobachtete ich sie und überlegte, ob ich klopfen sollte oder lieber nicht. Ich kannte ja nicht mal ihren Namen, auch nicht Rosaleens Mädchennamen. Wie also sollte ich die alte Dame ansprechen? Aber schließlich fasste ich mir doch ein Herz und pochte leise an die Scheibe.
    Die Gestalt zuckte heftig zusammen, und ich konnte nur hoffen, dass sie keinen Herzinfarkt bekommen hatte. Langsam und steif drehte sie sich ins Profil. Die mir zugewandte Seite des Gesichts war größtenteils hinter den ungepflegten Haaren verborgen, eine riesige Schutzbrille verdeckte die halbe Stirn und drückte in die Wange. Nichts als Haare und Brille, die Karikatur eines verschrobenen Professors.
    Das Tablett mit dem rutschenden und klirrenden Geschirr auf den Knien balancierend, winkte ich der Gestalt zu und setzte mein freundlichstes Lächeln auf, denn ich wollte unmissverständlich zeigen, dass ich in friedlicher Absicht gekommen war. Aber das Profil blieb starr und ausdruckslos. Ich hielt das Tablett einen Moment in die Höhe, um zu zeigen, was ich mitgebracht hatte, setzte es wieder auf den Knien ab und tat so, als würde ich essen. Immer noch keine Reaktion. In diesem Moment wusste ich, dass ich großen Ärger kriegen würde – mein Plan war nicht aufgegangen. Rosaleen hatte recht: Ihre Mutter war nicht in der Verfassung, die Bekanntschaft wildfremder Menschen zu machen, und selbst wenn sie es gewesen wäre, hätte ich trotzdem warten müssen, bis Rosaleen uns einander vorstellte. Vorsichtig trat ich ein paar Schritte zurück.
    »Ich lass das hier für Sie stehen«, verkündete ich dann mit lauter Stimme, damit die alte Frau mich hören konnte, stellte das Tablett ins Gras und drehte mich um. Als ich den Rückzug antrat, fiel mein Blick auf den Rest des Gartens hinter dem Schuppen, und ich blieb mit offenem Mund stehen: Über den Rasen waren Wäscheleinen gespannt, eine neben der anderen, bestimmt zehn bis zwanzig, und an allen hingen Glasmobiles, Dutzende, in allen erdenklichen Formen, manche geriffelt, manche glatt, aber jedes einzelne ein eigenständiges Kunstwerk, so baumelten sie an der Leine, fingen das Licht ein, glitzerten und wiegten sich im Wind.
    Ich ging am Schuppen vorbei und trat auf den Rasen, um genauer hinzusehen. Die Mobiles waren genau in den richtigen Abständen voneinander aufgehängt, dass sie sich gegenseitig nicht in die Quere kamen. Schon ein einziger Zentimeter weniger Zwischenraum hätte gereicht, und es wäre zu Zusammenstößen gekommen. Die Leinen waren fest gespannt, auf der einen Seite an der Mauer, auf der anderen an einem Pfosten befestigt. Da sie relativ hoch hingen, musste ich nach oben schauen, so dass der helle Himmel durch das Glas schimmerte. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen. Manche Mobiles sahen aus wie große Tropfen, wie Tränen, die, statt herunterzufallen, mitten in der Luft zu Eis erstarrt waren. Andere waren geradliniger, fast wie Nadeln – scharf wie Eiszapfen oder schmale Dolche. Jedes Mal, wenn der Wind blies, schwangen sie hin und her. Ganz langsam ging ich an einer Reihe entlang und betrachtete die kleinen Kunstwerke. Bei manchen enthielt das Glas kleine Luftblasen, andere wieder waren vollkommen klar. Wenn ich meine Hand dahinterlegte, sah sie bei manchen Mobiles vernebelt aus, bei anderen fest umrissen. Doch alle Glasfiguren waren faszinierend und wunderschön, ob sie nun fremdartig geformt und beunruhigend waren oder entzückend hübsch und so zerbrechlich, dass ich Angst hatte, sie könnten bei der geringsten Berührung kaputtgehen.
    Eigentlich wollte ich noch weitergehen und auch die anderen Leinen genauer betrachten, aber als ich mich umdrehte, um mich zu vergewissern, dass ich allein war, sah ich, dass die Gestalt an ein anderes Fenster getreten war, von dem aus sie diesen Teil des Gartens überblicken konnte. Und sie schaute mich an, die Hand fest an die Scheibe gedrückt. Unwillkürlich blieb ich stehen, lächelte in ihre Richtung und fragte mich, wie lange sie wohl schon so dastand und mich beobachtete. Sosehr ich mich auch bemühte, ihre Gesichtszüge zu erkennen, es war

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