Ich schreib dir morgen wieder
hast.«
»Ich hab noch nie mit jemandem darüber gesprochen.«
»Ich werde es niemandem verraten.«
»Okay, danke. Jetzt muss ich wirklich gehen.«
Das war alles so peinlich.
»Gute Nacht.«
Er beugte sich weiter aus dem Fenster und hob die Stimme. »Bis bald, Tamara.«
»Japp. Klar.«
Aber ich wollte nur weg.
Die Bande in der Eingangshalle pfiff und lachte, und ich verschwand in der Dunkelheit.
In dieser Nacht lernte ich etwas sehr Wichtiges. Man sollte nicht versuchen, sich in den Lauf der Dinge einzumischen. Manchmal muss man es aushalten, dass man sich unbehaglich fühlt. Manchmal muss man vor anderen Menschen zeigen, dass man verletzlich ist. Manchmal ist das notwendig, denn nur so lernt man sich wieder ein Stück besser kennen. Offensichtlich hatte das Tagebuch nicht immer recht.
Kapitel 14
Ein Uhr
In meinem Tagebuch stand, dass ich bis ein Uhr Zeit haben würde.
Es war schon ein seltsames Gefühl, dass der Morgen sich genauso abspielte, wie ich es am Abend vorher gelesen hatte. Rosaleen weckte mich, sagte mir, ich sollte zu Hause bleiben, und vermittelte mir – zum zweiten Mal – ganz deutlich den Eindruck, dass ich mich in ihrer kleinen Welt lieber nicht zeigen sollte. Offenbar wäre es ihr unangenehm gewesen, vor ihren Bekannten zugeben zu müssen, dass Mum und ich existierten, und schlimmer noch, dass mein Vater sich das Leben genommen hatte – die schrecklichste Sünde von allen. Ich war wütend, dass sie uns verleugnete, und musste gegen den Impuls ankämpfen, ihr aus reinem Trotz zu sagen, dass ich mit zur Messe wollte. Aber ich blieb unter der Decke liegen, horchte, wie ihr Auto in den sepiafarbenen Tag davonfuhr, und beschloss, meinen Tag an dieser Stelle anders zu gestalten, als im Tagebuch vorgesehen. So seltsam es auch war, dass ich theoretisch schon wusste, was passieren würde, begann ich mich langsam daran zu gewöhnen.
Statt nach Rosaleens und Arthurs Abfahrt wieder einzuschlafen, wie es in dem Eintrag gestanden hatte, zog ich mich an und lief nach unten. Als der gelbe Cinquecento wie erwartet mit offenen Fenstern die Straße heruntergebraust kam, erwartete ich ihn bereits auf der Gartenmauer sitzend.
»Ah!« Schwester Ignatius’ Augen strahlten. »Dich hab ich gesucht. Kommst du mit zur Messe?«
Nachdenklich betrachtete ich das Auto mit den vier dicht an dicht nebeneinandergequetschten Nonnen.
»Oh, du kannst dich doch auf Schwester Reginas Knie setzen«, scherzte Schwester Ignatius, und aus dem Wageninnern erhob sich protestierendes Gemurmel. »Wir singen immer bei der Morgenmesse, und du bist doch im Chor, also könntest du mitmachen – natürlich nur, wenn deine Halsentzündung sich inzwischen gebessert hat.«
Unmöglich!
, formte ich mit den Lippen, griff mir an die Gurgel und klappte demonstrativ tonlos den Mund auf und zu.
»Du solltest mit Salz gurgeln, dann bist du bald wieder fit«, riet sie mir und musterte mich dabei. Aber dann hellte sich ihre Miene wieder auf. »Übrigens danke für das Buch.«
»Gern geschehen«, brach ich nun doch mein Schweigen. »Das hab ich extra für Sie ausgesucht.«
»Dachte ich mir schon«, kicherte sie. »Weißt du, am Anfang mochte ich diese Marilyn Mountrothman überhaupt nicht. Total verklemmt, mit viel zu hochgesteckten Erwartungen, aber am Ende hatte ich sie richtig ins Herz geschlossen. Genau wie Tariq. War nicht unbedingt einleuchtend, die Beziehung zwischen den beiden, aber dass er die ganze Zeit wusste, was sie dachte – ich muss sagen, das hat mich fasziniert. Vor allem, als sie wegen der Nachricht von ihrem Vater so geweint hat, ihm aber nichts davon erzählen wollte. Und er hat es trotzdem erraten. Er wusste, dass sie ihn liebte. Kluger Mann! Vermutlich hat er es so zum Ölmagnaten gebracht und seine Millionen gescheffelt. Außerdem mag ich es, wenn ein Foto von den Hauptpersonen auf dem Einband ist. Dann kann man sich die Leute viel besser vorstellen. Der Kerl sah doch ziemlich gut aus mit seinen zurückgekämmten Haaren und den durchtrainierten Muskeln …«
»Haben Sie das Buch tatsächlich gelesen?«
»Aber selbstverständlich. Jetzt hat Schwester Conceptua es gerade angefangen.«
Die Frau auf dem Beifahrersitz drehte sich um. »Verratet mir bloß nicht noch mehr von der Handlung. Er hat gerade erst das Privatflugzeug nach Istanbul gechartert.«
»Oh, dann hast du das Beste noch vor dir«, versprach Schwester Ignatius und klatschte in die Hände. »Nur eine kleine Andeutung, nur zwei Worte –
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