Ich sehe dein Geheimnis
stürmte hinaus. Ich hörte ihn etwas wie »lächerlich« murmeln, bevor er die Tür hinter sich zuknallte.
»Was soll das?«, fragte ich Justin.
Er zuckte die Schultern. »Ich habe dir doch gesagt, dass er ein harter Typ ist.«
»Ja, aber was sollte die Beleidigung?«
Justin setzte sich. »Anscheinend hat er eine besondere Vorliebe für Übersinnlichkeit.«
»Wundervoll.« Es hatte also nichts mit meinen Mitschülern und meinem Ruf zu tun. Schlimmer noch, vielleicht war es etwas in Gabriel selbst. Justins »dumme Idee«, von der Gabriel gestern gesprochen hatte, war ich.
»Er hat der Zusammenarbeit mit dir nur zugestimmt, weil mein Vater ihn dazu zwingt.«
Ich verdrehte die Augen. »Als würde ich dich nicht schon genug hassen.«
»Komm, Clare. Du machst das hier schließlich nicht, um mir einen Gefallen zu tun. Es ist das einzig Richtige.«
Damit hatte er recht. Und jetzt hatte ich eine noch stärkere Motivation, den Fall schnell zu lösen: Ich musste meinen Bruder schützen.
»In Ordnung«, lenkte ich ein.
»Super. Lass uns loslegen.« Justin holte aus der Tüte auf dem Schreibtisch ein Portemonnaie, einen Lippenstift und ein Handy. »Diese Sachen haben ihr gehört. Willst du es versuchen?«
Ich zuckte die Schultern und griff zuerst nach dem Lippenstift. Dann schloss ich die Augen. Nichts.
Als Nächstes versuchte ich es mit dem Portemonnaie. Wieder nichts. Ich war froh, dass Gabriel hinausgegangen war. Bisher war ich zu gar nichts nütze.
Dann nahm ich das Telefon.
Sofort war ich in einem Sog gefangen. Ich sah nur Wirbel und Nebel, nichts Konkretes, spürte aber starke Gefühle. Ich weinte. Nein, Victoria weinte … aus Zorn. Ich umfasste das Telefon fester, konzentrierte mich noch stärker.
Er gehört dir nicht.
Ihre Stimme war laut. In der Ferne hörte ich eine unverständliche Antwort.
Nun, offensichtlich will er dich nicht mehr, fuhr Victoria fort. Er will mich.
Es knisterte wie elektrostatische Aufladung. Ich versuchte, die Vision so lange wie möglich festzuhalten.
Das werden wir noch sehen.
Victorias Worte verebbten. Ich schlug die Augen auf.
»Was war das?«, fragte Justin mit großen Augen.
»Ich habe etwas gesehen. Ich weiß nicht, ob es von Bedeutung ist, aber möglich wäre es.« Ich wiederholte das Gehörte und fragte mich für einen Augenblick, ob Victoria von meinem Bruder gesprochen hatte. Nein – schließlich hatten sie sich ja erst an jenem Abend im Yummy’s kennengelernt, oder? Das hatte er jedenfalls gesagt.
Justin nickte, als ich das Telefon wieder auf den Tisch legte. Ich spürte einen Anflug von Stolz – immerhin hatte ich unsere erste Spur entdeckt. Vielleicht war ich doch zu etwas nütze.
Seufzend drehte ich mich zur Tür um. »Zeit für Mr Harter Typ, oder?«
»Viel Glück«, wünschte Justin mir trocken.
Gabriel lief im Flur auf und ab. Ich versuchte, zu ignorieren, wie gut er in seinen Cargoshorts und dem dunkelblauen T-Shirt aussah. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, dass er mich eine Verrückte genannt hatte.
Die Vision hatte mir Kraft gegeben. Ich hatte wieder Selbstvertrauen und war bereit, loszulegen. Nach dem unglücklichen Einstieg versuchte ich es zuerst mit Freundlichkeit.
»Wie ich höre, hast du Bedenken, mit mir zusammenzuarbeiten«, fing ich an. »Würdest du dich vielleicht besser fühlen, wenn ich dir meine Fähigkeit erkläre?«
Gabriel sah mich nicht an. »Das bezweifele ich.«
Okay, dann eben nicht auf die nette Art. Ich zog meinen inneren Schutzwall hoch und trat ihm gegenüber, wie ich Tiffany, Billy, Frankie und allen anderen immer wieder gegenüber trat. Nämlich mit der einzigen Waffe, die ich hatte: Worte.
»Hör mal, du hast anscheinend Schwierigkeiten, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der übersinnliche Fähigkeiten hat. Glaub mir, ich arbeite auch nicht gerne mit einem Blödmann zusammen.«
Er sah mich leicht irritiert an.
Ich machte weiter. »Bürgermeister Spellman zwingt mich genauso wie dich zu dieser Arbeit. Deshalb mein Vorschlag: Ich lasse dich in Ruhe und du lässt mich in Ruhe. Wir lösen den Fall so schnell es geht und müssen danach nie wieder miteinander reden. Einverstanden?«
In seinen Augen sah ich einen Anflug von Respekt. Er starrte mich an und spielte dabei mit seinem Schlüssel. Dann endlich sagte er: »Ich soll dich in das Motelzimmer bringen und dein Ding durchziehen lassen. Danach fahre ich dich nach Hause.«
Er bedeutete mir, vorauszugehen, aber ich folgte ihm mit einigem Abstand. Ich
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