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Ich sehe dein Geheimnis

Ich sehe dein Geheimnis

Titel: Ich sehe dein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrington
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brauchte eine Minute, um mich zu beruhigen. Meine zitternden Hände versteckte ich in den Taschen und atmete ein paar Mal tief durch. Ich hatte ihm die Meinung gesagt, damit meinen Stolz bewahrt und mir vielleicht sogar etwas Respekt erworben. Aber hinter meiner mutigen Fassade fühlte ich nur Beklemmung und eine Art Schmerz.
    Ja, ich war Clare Fern, die mit den merkwürdigen Kräften, Mitglied der Familie Freak und hart im Nehmen. Aber wenn die anderen all diese Etiketten entfernen würden, wären sie vielleicht erstaunt, dahinter ein ganz normales Mädchen zu entdecken. Ein Mädchen, das sein Leben nicht in der Defensive verbringen will. Das will, was alle wollen.
    Nämlich geliebt werden.

Acht
    Das Motel King’s Courtyard bestand aus einem einzigen, L-förmigen Gebäude, das um einen Außenpool herum errichtet war. Beworben wurde das Ganze mit der Wendung »Zimmer mit Blick auf das Wasser«, aber wer aus dem Fenster blickte, sah meistens nur das eigene Auto. Das Motel hatte zwei Stockwerke. Victoria Happel hatte in dem Zimmer mit der Nummer 108 im Erdgeschoss übernachtet, genau in der Ecke des Ls und am weitesten von Rezeption und Büro entfernt gelegen.
    Die Tür war mit dem gelben Absperrband der Polizei zugeklebt. Ich stand davor und wartete, bis Mr Vorurteil im Büro fertig war.
    Gestern war er noch an mir interessiert gewesen, hatte mit mir geflirtet und mich mit seinem perfekten Lächeln bezaubert. Und jetzt verhielt er sich, als ekelte er sich vor mir. Ich verschränkte die Arme und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden.
    Endlich kam er, in Begleitung eines schlaksigen, gebeugt gehenden Mannes, den ich angesichts des Zimmerschlüssels in seiner Hand für den Motelmanager hielt. Auf dem Weg hierher hatte Gabriel mir erzählt, dass sein Vater ihn als »Praktikanten« angekündigt hatte, der noch einige Fotos machen wollte.
    »Ich wüsste wirklich gerne, wann ich das Zimmer wieder vermieten kann«, sagte der Manager.
    Gabriel nahm den Schlüssel und löste das Absperrband. »Das hier ist immer noch ein Tatort. Wir geben Ihnen sobald wie möglich Bescheid.«
    »Wissen Sie, es gibt Leute, die einen Höchstpreis für die Übernachtung in diesem Zimmer zahlen würden. Tatortgroupies, sie wissen schon.«
    »Das ist krank«, sagte ich.
    Gabriel warf dem Mann einen strengen Blick zu. Der nickte und lief ins Büro zurück.
    Gabriel betrat das Zimmer als Erster. Ich war dicht hinter ihm und hatte ein merkwürdiges Gefühl im Bauch – als sähe ich mich selbst in einem Film mitspielen oder erinnerte mich an einen Traum. Und wieder fiel mir auf, wie bizarr mein Leben war. Normale Mädchen in meinem Alter waren zu Hause, trafen sich mit Freundinnen, sahen fern oder flirteten am Telefon mit ihren Freunden. Ich aber machte eine Tatortbegehung.
    Gabriel schloss die Tür hinter mir. Die Vorhänge waren zugezogen, sodass der größte Teil des Zimmers abgedunkelt war. Gabriel schaltete das Licht ein. »Das war das Zimmer des Opfers.«
    »Danke, Mr Offensichtlich.«
    Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer wandern. Es war ein typisches billiges Motelzimmer. Ein King-Size-Bett (»Im King’s Courtyard ist alles hundert Prozent King Size!«), ein Nachttisch mit Leselampe, Telefon und Wecker und ein kleiner Fernseher auf einer Kommode. Über dem Bett hing ein billiges, schief an der schmutzig beigen Wand angebrachtes Bild eines Segelboots.
    Gabriel seufzte. »Und was genau machst du?«
    »Hast du schon von retrokognitiver Psychometrie gehört?«
    »Nö.«
    »Das ist die Fähigkeit, vergangene Ereignisse wahrzunehmen oder zu sehen. Ich habe diese Fähigkeit. Ich berühre einen Gegenstand, konzentriere mich und bekomme dann manchmal Visionen von Dingen, die sich ereignet haben, als jemand anders diesen Gegenstand berührt hat.«
    »Manchmal.«
    »Ja. Dass es nicht immer funktioniert, heißt nicht, dass es so etwas nicht gibt.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass es so etwas nicht gibt.«
    »Ich muss nicht hellsehen können, um zu wissen, wie du dich gerade fühlst. Dazu muss ich einfach nur nicht bescheuert sein.«
    Er lächelte fast, bevor ihm einfiel, dass er mich hassen sollte und er wieder seinen ernsten Gesichtsausdruck annahm. »Verstanden. Ich setze mich einfach in die Ecke, bin still und schaue dir zu.« Er ließ sich auf einen Stuhl fallen.
    »Gut. Kann ich alles anfassen?«
    »Ja.«
    Ich ging zuerst ins Badezimmer und ließ meine Finger schweifen, berührte den Duschvorhang, den Wasserhahn. Ich sah nichts

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