Ich sehe dein Geheimnis
gestellt.
Ich rannte ins Haus. »Mom?«
»Ich bin hier.«
Ich stürmte in die Küche. »Hat jemand angerufen?«
»Noch nicht.« Sie stellte eine Cola auf den Tisch, an dem Nate mit sorgenvollem Gesicht saß und eine Serviette zerpflückte.
»Hallo.« Ich setzte mich neben ihn.
Mom flatterte durch die Küche wie ein gefangener Vogel. Es schien, als wolle sie sich um jeden Preis ablenken.
»Ich wollte euch Gesellschaft leisten«, erklärte Nate. »Und ich glaube, ich brauche auch Gesellschaft.« Er versuchte ein Lächeln, doch ohne Erfolg. »Ich mache mir Sorgen, Clare.«
»Ich auch. Aber alles wird gut«, sagte ich so bestimmt und hoffnungsvoll wie möglich.
Mom drehte den Wasserhahn zu. »Ist etwas passiert?«
Ich holte tief Luft. »Joni ist tot. Ihre Leiche liegt am Strand. Wahrscheinlich ist die Polizei schon da.«
Mom rang nach Luft und schlug die Hand vor den Mund.
»Wie furchtbar«, sagte Nate. »Ist sie ertrunken?«
»Nein. Sie wurde erwürgt und ins Wasser geworfen. Bestimmt von demjenigen, der auch Victoria und Billy ermordet hat. Ich bin jetzt noch überzeugter davon, dass es Victorias Freund Joel war.«
Mom nickte und sah abwesend aus dem Fenster. »Hoffentlich sieht das die Polizei auch so.«
Sie ging auf die Veranda, um frische Luft zu schnappen, und bat uns, das Telefon zu hüten.
»Ich habe noch etwas herausgefunden«, flüsterte ich Nate zu. »Gabriels Tattoo.«
Er machte eine wegwerfende Geste. »Das ist mir jetzt egal. Daran kann ich später immer noch arbeiten.«
»Victoria«, sagte ich.
»Was ist mir ihr?«
»Das Tattoo lautet ›Victoria‹.«
Nates Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
»Es könnte Zufall sein«, sagte ich. »Es gibt Tausende von Victorias.«
»Aber nicht ganz so viele Mörder«, sagte er leise.
»Was soll das heißen?«
»Ich habe in der Zwischenzeit einiges herausgefunden – zum Beispiel, warum die Toscanos aus New York City weggegangen sind. Anthony hat die New Yorker Polizei nicht freiwillig verlassen. Er wurde gefeuert.«
»Warum?«
»Er hat jemanden getötet.«
Ich war geschockt. »Wenn das stimmt, müsste er im Gefängnis sitzen.«
»Es geschah im Dienst und er wurde nicht angeklagt. Dennoch wurde der tödliche Schuss als unberechtigt eingestuft und er hat seine Stelle verloren. Die ganze Sache ist sehr dubios. Zwischen ihm und dem Opfer gab es eine persönliche Beziehung.«
»Wie schrecklich. Aber was hat das mit den jetzigen Geschehnissen zu tun?«
»Ein Mörder ist ein Mörder. Er hat schon einmal seinen Status als Polizist dazu missbraucht, jemanden umzubringen und unbeschadet davonzukommen. Er könnte es wieder getan haben.«
Ich dachte an den Tatort, an dem Billy gefunden wurde. Jemand hatte uns vom Wald aus beobachtet. Es hätte Kommissar Toscano sein können. Und Gabriel weigerte sich, Victorias Namen auszusprechen. Er nannte sie immer ›das Opfer‹, obwohl ihr Name auf seinen Arm tätowiert war. Konnte es sein, dass …
Nein. Unmöglich.
»Du kannst nicht einfach solche Behauptungen aufstellen, ohne Genaueres zu wissen«, sagte ich sowohl zu Nate als auch zu mir selbst.
»Warum nicht?«, fragte er scharf. »Die haben doch nur allzu gern Behauptungen über Perry aufgestellt.«
Da hatte er recht. »Ich habe eine Idee«, sagte ich. »Ich hatte Kommissar Toscano nach dem Video der Überwachungskamera gefragt, aber er hat mir nicht erlaubt, es anzusehen. Wenn Gabriel oder er auf diesem Band sind, könnte deine Theorie zutreffen.«
Nate war Feuer und Flamme. »Du musst an dieses Video kommen. Vielleicht ist es unsere einzige Chance, Perry zu befreien.«
»Aber wie? Ich kann nicht einfach bei der Polizei einbrechen und es stehlen.«
»Es gibt einen Möglichkeit«, sagte Perry vorsichtig. »Justin. Er würde alles für dich tun. Sein Vater käme bestimmt leicht an das Band.«
»Ich soll Justin benutzen ?«
» Benutzen ist ein schreckliches Wort. Wahrscheinlich würde er sich sogar über deine Aufmerksamkeit freuen. Klimpere mit den Wimpern, streich dir durchs Haar, tue einfach, was auch immer ihr Mädchen tut, damit wir Jungs uns zu kompletten Idioten machen.«
Ich holte tief Luft. Für meinen Bruder würde ich alles tun.
»Okay. Wenn es sein muss.«
Ich schrieb Justin eine SMS und fragte ihn, ob er sich mit mir treffen wolle, um zu reden. Blitzschnell antwortete er, wir könnten uns an der Promenade treffen. Ich hatte erwartet, dass er den Strand vorschlagen würde, weil wir uns immer dort verabredet hatten. Aber
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