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Ich sehe dein Geheimnis

Ich sehe dein Geheimnis

Titel: Ich sehe dein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrington
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nichts zu Mittag gegessen, war aber kein bisschen hungrig. Ich nahm die Sandalen in die Hand, lief barfuß durch den warmen Sand und achtete darauf, Menschenmengen aus dem Weg zu gehen. Ich wollte nicht riskieren, jemandem aus der Schule zu begegnen. Die Nachricht von Perrys Vernehmung verbreitete sich wahrscheinlich schneller als eine Sexualkrankheit.
    Ich ging Richtung Wasser, weil ich die Wellen an meinen Füßen spüren wollte. Doch ein Anblick, der mir noch vor Tagen Schmetterlinge im Bauch beschert hätte, ließ mich innehalten. Gabriel saß nur ein paar Meter entfernt im Sand. Er trug Cargoshorts, aber das T-Shirt lag neben ihm. Sein muskulöser Rücken war braun gebrannt. Er blickte aufs Meer hinaus. In diesem Moment hätte ich gern die Fähigkeit meiner Mutter gehabt und seine Gedanken gelesen.
    Er drehte sich um, als könne er meine lesen.
    »Hey.« Er stand auf und klopfte sich den Sand von der Hose. Sein gestählter Oberkörper war ein netter Anblick, aber dennoch brachte ich kein Lächeln zustande.
    Ich war verwirrt. Körperlich fühlte ich mich sehr stark zu ihm hingezogen, aber mein Kopf bremste mein Herz. Gabriel glaubte nicht an mich und meine Familie. Er verachtete mich wegen meiner Gabe und wollte mir nicht einmal erklären, weshalb er das tat. Warum störte es ihn, dass ich übersinnliche Kräfte hatte? Machte mich das zu einem anderen Menschen?
    Der gleiche Konflikt spiegelte sich auf seinem Gesicht. Er verabscheute die Lebensgrundlage meiner Familie. Und er hielt meinen Bruder wahrscheinlich für einen Mörder.
    Aber er empfand etwas für mich. Ich wusste es, konnte es in seinen Augen sehen.
    Er breitete die Arme aus. Ich ignorierte den Teil von mir, der ihn zurückstoßen wollte. Ich brauchte jetzt jemanden, brauchte Unterstützung. Und er bot sie mir an. Ich rannte auf ihn zu, schlang die Arme um ihn und ließ mich von seiner Wärme umfangen. Er hielt mich ganz fest.
    »Ich mache mir solche Sorgen um ihn«, sagte ich.
    »Das verstehe ich«, flüsterte er und strich mir übers Haar.
    »Ich liebe Perry mehr als alles andere auf der Welt.«
    »Ich weiß. Ich weiß, wie sich das anfühlt.«
    Er hob sanft mein Kinn und sah mir lange in die Augen.
    In meinem Hals spürte ich einen Kloß der Frustration. Seine Berührung war aufregend, doch ich wünschte, ich würde sie nicht so genießen, würde nicht mehr von diesem Kerl wollen, der so offensichtlich einen Teil von mir missbilligte.
    In seinen Augen sah ich den inneren Kampf. Sollte er an seinen Überzeugungen festhalten oder zu seinen Gefühlen stehen?
    Mein Herzklopfen war lauter als die Brandung hinter uns.
    Endlich sagte er: »Ich will nicht mehr versuchen, dich zu hassen.«
    Er beugte sich zu mir hinab und küsste mich.
    Mein Kopf gab sich meinem Herzen geschlagen. Ich war es leid, gegen meine Gefühle anzukämpfen und mich um meinen Stolz zu sorgen. Gierig erwiderte ich seinen Kuss, verlor mich im Geschmack seines Mundes, spürte seine Hände auf meinem Gesicht. Die Wellen schlugen hinter uns ans Ufer. Ich war eins mit dem Augenblick.
    Irgendwann musste ich Atem holen. Ich sah ihn an, s trich mit den Fingern über seine Arme, seinen Bize ps. Als er meinen Hals mit Küssen bedeckte, wandte ich den Kopf zur Seite.
    Und entdeckte etwas.
    Sein Tattoo.
    Ich konnte jetzt einen Teil davon erkennen. Es war ein kursiv geschriebenes Wort, wahrscheinlich ein Name. Einerseits wollte ich es nicht lesen – denn wenn es der Name einer früheren Liebe aus New York war, wäre ich schrecklich eifersüchtig, obwohl ich kein Recht dazu hatte. Doch die Neugierde siegte.
    Ich sah noch genauer hin und flehte innerlich: Da soll Mom stehen, da soll Mom stehen, da soll Mom stehen .
    Es war tatsächlich ein Name, geschrieben in blumigen, femininen Buchstaben.
    Aber es war nicht »Mom«.
    Es war »Victoria«.

Zwanzig
    Bevor ich schreien konnte, tat es jemand anderes.
    Ich riss mich von Gabriel los und stolperte einige Schritte rückwärts. Er bemerkte meinen Schock wegen seines Tattoos nicht, weil er in eine andere Richtung sah.
    Eine Frau, die ein ganzes Stück entfernt von uns stand, schrie hysterisch. Ein paar Leute waren bereits zu ihr gelaufen und standen im Kreis um irgendetwas herum. Gabriel rannte los und ich folgte ihm. Als wir näher kamen, wurde die Frau ohnmächtig und ein Mann fing sie auf. Immer mehr Leute blieben stehen und schnappten beim Anblick dessen, was dort lag, nach Luft.
    Ich wollte nicht sehen, was sie sahen – es konnte nichts Gutes sein. Im

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