Ich sehe dein Geheimnis
Risiken der übersinnlichen Fähigkeiten führen?
»So funktioniert meine Gabe nicht«, fuhr sie mit ihrem seltsamen Akzent fort. »Genau wie auch deine Gabe nicht immer funktioniert, wenn du es willst.« Sie sah mich an. Ihre dunklen Augen waren von Lachfältchen umgeben und wirkten dadurch freundlich. »Bist du hier, um mit mir zu sprechen? Du weißt, dass ich neulich die Wahrheit gesagt habe.«
»Nein, ich bin nur zum Essen hier. Und ich glaube Ihnen kein Wort. Sie wollen mich und meine Familie aus der Stadt verscheuchen, weil wir Ihre einzigen Konkurrenten sind.«
»Das stimmt nicht. Die Wahrheit ist: Ich weiß, dass du in Gefahr bist. Das habe ich dir bereits gesagt. Ich versuche, dich zu beschützen, aber du bist keine gute Zuhörerin.« Sie zeigte auf ihr Ohr. »Ich versuche es noch einmal.« Sie rutschte näher heran und sah mich entschlossen an. »Geh fort von hier. Bevor es zu spät ist.«
In dem Moment kam Perry mit zwei Eiswaffeln in den Händen zurück.
»Was ist los?«, fragte er.
»Nichts«, antwortete ich. »Madame Maslov wollte gerade gehen.«
Ich drehte mich wieder zu Madame Maslov, aber sie achtete gar nicht mehr auf mich. Stattdessen starrte sie Perry an.
Sie stand auf und stellte sich vor ihn hin.
»Du kommst mir so bekannt vor. Ich habe einmal einen Mann getroffen, der genau wie du aussah, nur älter.«
Perry erstarrte. Ich hatte das Gefühl, mein Herz würde stillstehen.
»Wo war das?«, fragte ich so ruhig wie möglich.
Madame Maslov machte eine wegwerfende Geste. »Weit, weit weg, in einer verlassenen Gegend in meinem Heimatland.«
Ihre Uhr piepte. »Ich muss wieder ins Geschäft.«
Sie holte einen großen Schlüsselbund hervor. Auf dem Weg zu ihrem Laden warf sie mir einen letzten Blick zu. Einen besorgten Blick. Entweder war sie eine sehr gute Schauspielerin, oder sie glaubte wirklich, dass ich in Gefahr war.
»Die schmelzen«, sagte Perry. Zu seinen Füßen hatte sich eine klebrige Pfütze aus Eiskrem gebildet.
»Ich habe keinen Hunger mehr.«
Perry zuckte die Schultern und aß von beiden Waffeln. »Willst du am Strand spazieren gehen?«
»Nein danke. Ich gehe zurück nach Hause.«
Ich sah Perry hinterher, wie er die Treppe zum Strand hinunterging und war froh, dass ich ihn überredet hatte, nach draußen zu gehen. Mission erfüllt. Ich wollte gerade nach Hause aufbrechen, als ich Cecile Hayworth bemerkte.
In einem eng anliegenden Kleid und hohen Schuhen schwebte sie auf Madame Maslovs Laden zu. Unsere Blicke trafen sich. Sie wechselte die Richtung und steuerte auf mich zu. Neugierig blieb ich stehen. Was könnte sie von mir wollen?
»Ich möchte dich um etwas bitten«, sagte Cecile ganz direkt.
»Okay.« Ich verschränkte die Arme.
»Du hast heute Abend eine Verabredung mit meinem Sohn.«
Es war zwar keine Verabredung in ihrem eigentlichen Sinn, aber ich nickte.
»Ich will, dass du absagst.«
Das hatte ich nicht erwartet. Ihr Tonfall störte mich. »Ich wüsste nicht, warum Sie das etwas angeht.«
Cecile nahm ihre übergroße Sonnenbrille ab. »Du hast meiner Familie in den letzten Monaten viele Probleme bereitet. Deine kindische Petzerei beim Direktor hat meinen Sohn den Platz an der Eliteuniversität und meinen Mann viel Geld gekostet.«
Ich ließ mich von ihr nicht aus der Ruhe bringen. »Sie beschuldigen die falsche Person. Hätte Stephen bei der Prüfung nicht geschummelt, wäre alles andere nicht passiert.«
Ihre Augen blieben kalt. »Glaub nur, womit du dich am wohlsten fühlst, Schätzchen, aber die Wahrheit ist, dass du diese ganzen Probleme ausgelöst hast. Und trotzdem war ich seitdem höflich und sogar freundlich zu dir und deiner Familie. Wir alle teilen diese Stadt, und mein Sohn mag dich trotz allem, was du getan hast. Ich war nett zu dir, weil er es so wollte. Aber das wird aufhören, wenn du dich nicht von ihm fernhältst. Er hat etwas Besseres verdient als eine Möchtegern-Zigeunerin.«
Ich trat dicht an sie heran. »Dafür, dass Sie aus so bescheidenen Verhältnissen stammen, sind Sie ein ganz schöner Snob.«
»Wie bitte?«
»Es ist kein Geheimnis, dass Sie aus ganz miesen Verhältnissen stammen. Sie haben mit Ihrem Aussehen Glück gehabt, konnten sich einen reichen Typen angeln und Ihr Leben ändern. Aber tun Sie nicht so, als wären Sie etwas Besseres.«
»Lass meinen Sohn in Ruhe.«
Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf und rauschte davon, als sei ich ein Dienstmädchen. Ich hätte sie am liebsten aus ihren High Heels gehauen, aber
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