Ich sehe dich
Geld angesprochen. Sie rief sich die Szenen ins Gedächtnis zurück, sein Schweigen, seine zögerliche Antwort. Hatte er geschwiegen, um Tini zu schützen?
An der Amalienburg hielt sie an, stellte sich auf den Platz zwischen dem Lustschlösschen und dem kleinen See und dehnte sich. Wie idyllisch der zugefrorene See wirkte. Sie sog den Anblick ein, zusammen mit der klaren Winterluft, und spürte, wie ihr Kopf frei wurde. Dann lief sie zurück zum Schloss. Dort erhöhte sie ihr Tempo, sie rannte schneller und schneller, bis sie die Brücke am Grünwaldpark erreichte. Laut keuchend blieb sie stehen, beugte sich nach vorn und ließ die Arme nach unten baumeln. Dann legte sie die letzten dreihundert Meter im lockeren Laufschritt zurück und überlegte, was sie Ben und Jonas kochen sollte.
Sie stellte den Herd auf niedrige Flamme, um das Gulasch langsam vor sich hin köcheln zu lassen, und rief ihre Mutter an.
»Reiser.«
»Hi Mama, ich bin’s. Kannst du nachher auf die Kinder aufpassen? So ab halb zwei.«
»Warum denn? Wo willst du denn hin? Ich dachte, du hast den Arbeitsbeginn bei Nova auf nächste Woche verschoben?«
Sara überlegte kurz. Sollte sie ihrer Mutter von dem Treffen mit Michael und dem gemeinsamen Plan erzählen?
»Ein Krankenbesuch.«
»Oh. Und der ist so wichtig, dass du ihn unbedingt heute Nachmittag erledigen musst, wenn du ein Gastkind zu Besuch hast?«
Sara seufzte. »Ja. Es geht um Tini.«
»Wie? Sara! Kannst du bitte Klartext mit mir reden?«
Sie hörte, wie ihre Mutter eine Zigarette anzündete, das Schnappen des Feuerzeugs, den ersten Zug. Einem plötzlichen Impuls folgend, holte sie die angebrochene Zigarettenschachtel aus ihrer Handtasche. »Ich will die Ex vom letzten Opfer besuchen. Ich glaube, dass der Mörder ihres Mannes auch Paul getötet hat.«
»Solltest du das nicht der Polizei überlassen?«
Wenn es nach denen geht, werden Michael und Tini eingesperrt, und der Fall ist erledigt . Sara stellte sich ans offene Fenster und zündete sich eine Zigarette an.
»Die Frau liegt im Krankenhaus. Es ist wichtig.« Wie gut dieses Gift immer noch schmeckte!
»Wenn du meinst … Ich soll die Buben nehmen? Gibt das nicht Ärger mit Ronnie?«
Natürlich. Riesenärger. Wenn du es ihm sagst. »Das ist mein Problem.«
»Naja, ich möchte nicht der Auslöser für einen Streit sein.«
»Mama! Es reicht schon, wenn Ronnie mich blockiert! Da musst du nicht auch noch –«
»Ist ja gut! War nicht so gemeint. Was bist du so empfindlich?«
Sara nahm zwei tiefe Züge und drückte die Zigarette auf dem Fenstersims aus.
»Rauchst du? Sara?«
»Sorry«, seufzte sie und setzte sich wieder an ihren Computer. »Ich bin wirklich durch den Wind. Ach … genau. Kannst du dann noch Jonas morgen um fünf zum Fußball fahren? Abholen kann ich ihn selbst.«
»Bist du wieder wegen Tini unterwegs?«
»Nein, Ronnie und ich gehen zur Eheberatung.«
»Selbstverständlich mache ich das, ich muss nur um sieben ins Theater, aber …« Ihre Mutter brach ab. Sara wusste, was sie fragen wollte.
»Ich war’s, Mama, ich hab den Termin bei der Eheberatung vorgeschlagen.«
»Das freut mich. Ich denke schon länger, dass so etwas für euch gut wäre, aber du weißt ja, ich will mich nicht einmischen.«
»Ich weiß. Bis nachher, Mama.«
Sie legte auf und loggte sich nach einem kritischen Blick auf ihre Uhr in das Forum ein. Perplex verfolgte sie die entstandene Diskussion. Las, dass der Mann eines Forumsmitgliedes durch die Morde das Forum zerschlagen und den Frauen zeigen wolle, dass echte Männer für Taten, nicht Worte stehen. Mehrere Schreiberinnen spekulierten mit steigender Panik darüber, wer der Mann sein könnte.
Kopfschüttelnd scrollte Sara weiter nach oben. Das war doch kein Motiv für einen Serienmord.
15. Dezember, 08:53 von Ursi
Hi Leute,
Wir unterstützen uns seit Monaten und teils seit Jahren in diesem Forum gegenseitig. Jetzt werden wir nicht nur des Mordes verdächtigt, sondern auch des gegenseitigen Verrats. Wie kommt diese Sara dazu? Wer ist sie eigentlich? Woher kennt sie uns? Ich sehe keinen weiteren Eintrag von ihr. Ist das nicht äußerst seltsam? Hat sie etwas mit den Ereignissen zu tun und versucht jetzt, eine falsche Fährte zu legen? Gerade in Anbetracht dessen, was Carla schreibt: »Wenn sie uns für so gefährlich hält, sollte sie besser auf sich aufpassen. Wenn ich die Mörderin wäre, würde ich ihr zeitnah das Maul stopfen … « Nur wenn sie selbst verwickelt ist,
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