Ich sehe dich
ich nach hinten, greife wahllos nach den Mänteln und Jacken in der Garderobe. Halte mich fest. Er folgt mir. Ich sehe die Faust wieder auf mich zukommen. Ducke mich. Sie kracht gegen die scharfe Kante der Holzgarderobe.
»Verdammte Scheiße!«, brüllt er. »Scheiße! Scheiße!«
Er hält seine rechte Hand in der linken, drückt sie gegen seinen Bauch. Krümmt sich. Stöhnt.
Ich beobachte ihn. Nehme alles wie in Zeitlupe wahr. Bin wie erstarrt.
Plötzlich richtet er sich auf, sein Gesicht kalkweiß, hassverzerrt. »Du hast meinen Finger gebrochen, du Scheißluder. Ich bring dich um!«
Mit voller Wucht stürzt er sich auf mich. Rammt mir sein Knie in den Magen. Ich sacke zusammen, reiße die Mäntel und Jacken mit mir, falle auf den Boden. Versuche mühsam, mich wieder aufzurichten. Ich weiß, ich muss hochkommen. Wegrennen. Ich bin kaum auf den Knien, da stößt er mir seinen Absatz ins Gesicht. Die Wucht des Schlages reißt meinen Kopf nach links. Ich verliere mein Gleichgewicht. Falle wieder zu Boden. Bleibe liegen. Rolle mich ein, die Arme schützend vors Gesicht, doch sein harter Schuh trifft mich überall. Wie von Sinnen tritt er auf mich ein.
Er schlägt mich tot.
Unter dem Stakkato seiner Schläge ist mein einziger Gedanke:
Er schlägt mich tot.
Irgendwann hört er auf. Ich weiß nicht, ist es nach dreißig Sekunden oder dreißig Minuten?
Mein Leben ist vorbei.
Als ich wieder aufwache, liege ich noch immer zusammengerollt im Gang. Mir ist kalt. Ich kann mich nicht rühren. Nicht sprechen. Mir ist schlecht. Ich schließe die Augen.
Plötzlich der Schlag gegen mein Schienbein. Wie ein Stromstoß jagt der Schmerz durch meinen Körper. Ich bin hellwach, sehe, wie er sich über mich beugt.
»Du hattest Glück, Luder.« Er sperrt die Tür auf und zieht sie hinter sich zu. Ich höre, wie sich der Schlüssel dreht.
Langsam richte ich mich auf. Schleppe mich ins Badezimmer, atme flach, denn jeder Atemzug verursacht ein schreckliches Stechen. Ich traue mich nicht, in den Spiegel zu schauen. Ich streife meine Kleider ab, steige in die Badewanne und drehe den Wasserhahn auf. In der wohligen Wärme spüre ich, wie meine Lebensgeister zurückkommen. Dann untersuche ich mich. Blaue Flecken, Prellungen, mit den Fingern ertaste ich den Bruch meiner Nase, im glänzenden Chrom der Brause spiegelt sich eine Platzwunde über der rechten Augenbraue.
Im Schlafzimmer stehe ich am Fenster und blicke auf die Autos, die sich vor dem Haus stauen. Dieses Schwein.
Ich packe meine Reisetasche. Gehe zur Tür.
Abgeschlossen.
Suche meinen Schlüssel.
Vergeblich.
Greife zum Telefon.
Das Kabel ist weg.
Renne zur Garderobe, ignoriere das Stechen in meiner Brust, durchwühle panisch meine Handtasche.
Handy.
Geldbeutel.
Schlüssel.
Personalausweis.
Alles weg.
Ich hämmere gegen die Tür. Schreie aus Leibeskräften. Breche zusammen.
Endlich höre ich Schritte im Treppenhaus. Mit der Faust schlage ich gegen die Tür und rufe um Hilfe. Die Schritte nähern sich, bleiben stehen. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür öffnet sich. Er steht da. Legt den Zeigefinger an den Mund und lässt ihn dann von rechts nach links über seine Kehle fahren. Entsetzt weiche ich zurück, stolpere über meine Reisetasche. Er reißt sie an sich und öffnet sie. Sein Blick ist voller Hass. Plötzlich erinnere ich mich an die Bemerkungen über seine Mutter, den abgrundtiefen Hass in seinen Augen, wenn er von ihr spricht, die Wut, die Unversöhnlichkeit, und ich weiß, ich bin verloren.
»Du willst weg?« Er stößt mich mit zusammengepressten Lippen hart zu Boden. »Du wirst diese Wohnung nie wieder verlassen!«
Heißer Espresso tropfte auf ihr Bein. Lydia bemerkte, wie die Tasse in ihrer Hand zitterte. Schnell stellte sie sie ab. Niemals würde sie diesen Albtraum wieder zulassen. Niemals! Sie hatte alles riskiert, um sich daraus zu befreien. Sie würde auch jetzt vor nichts zurückschrecken.
Was wusste er wirklich? Woher kannte er ihre neue Identität? War er ihr gestern gefolgt? Nein, sie hatte den Taxifahrer kreuz und quer durch München geschickt, bis er anfing, unbequeme Fragen zu stellen, und sie ihm schließlich die Adresse nannte: die Schrebergartensiedlung am Hirschgarten, wo sich die unscheinbare Gartenlaube befand, die sie mit Anina für die Bewohnerinnen des Frauenhauses auf Vordermann gebracht hatte. Sie hätte auch ins Frauenhaus flüchten können, die Gartenlaube war viel zu kalt in dieser Jahreszeit, aber sie wollte
Weitere Kostenlose Bücher