Ich sehe dich
hat sie nichts zu befürchten. Denkt da mal drüber nach. Ich finde, Valeska sollte Saras Eintrag löschen und ihren Zugang zu diesem Forum sperren. Ich werde eine neue Rubrik öffnen zu diesem Thema und bitte alle, die diese Sara aus dem Forum entfernt haben möchten, dort ihr Votum abzugeben.
Ursi
Sara pfiff leise durch die Zähne. Was war das denn? Eine Kampfansage? Wollte diese Ursi sie einschüchtern, so wie Carla am Vorabend? Der war sie offensichtlich mächtig auf die Zehen gestiegen. Gut, dass niemand wusste, wer sie war. Dennoch spürte sie ein unangenehmes Kribbeln im Magen, ein Anzeichen, dass sie sich in einer Situation nicht mehr sicher fühlte, ein Signal, dem sie am Berg immer vertraute.
Der nächste Kommentar stammte von Marie. Vor dem Ende des ersten Satzes wusste Sara bereits, dass sie in Schwierigkeiten war.
15. Dezember, 09:22 von Marie
Hallo Ursi,
ich glaub ich kenn die Sara, sie war lezten Freitag bei uns in der Gruppnstunde.
Die war voll komisch. Is mir gleich aufgefalln. Von sich erzälen wollt sie nichts, aber die ganze Zeit Fragen gestellt hat sie. Vorallem über die Morde, und über die Christina. Dabei kennt sie sie gar nicht. Aber hat echt komisch gefragt, so warum wir denken, das Christina das getan hat und lauter so Zeugs. Das hat sie interessiert, aber als wir was über sie wissn wolltn hat sie sich voll gezirt und dann wollt sie auch nicht darüber sprechen. Also echt ich hab mich gewundert, wir kommen ja alle zur Gruppe, um zu reden und ich frag mich jetzt ob sie nicht die Christina kennt und bei uns spionieren wollte.
Grüße
Marie
Sara erinnerte sich an Maries tiefe Stimme, an ihr provokatives Auftreten in der Gruppensitzung. So blöd und plump sie mit ihrem aggressiven Gehabe wirkte, ihre Schlussfolgerung war richtig. Ein Volltreffer. Sie hatte sie exponiert. Mit ein bisschen Ehrgeiz konnte jetzt jeder ihre Identität herausfinden, man musste nur in Christinas Umfeld herumstochern und würde sofort über eine Sara stolpern. Eine ohne h. Als ob ein Extrabuchstabe sie schützen könnte. Warum hatte sie sich keinen anderen Namen ausgedacht? Sarah123, das war doch lächerlich nahe an ihrem echten Namen dran. Warum hatte Michael keinen falschen Namen vorgeschlagen? Wirklich nur, damit sie sich als Sara auf die Gruppensitzung beziehen konnte und eher ernst genommen wurde? Oder war sie eine Marionette in einem ausgeklügelten Plan, von dem sie nur so viel kannte, wie nötig war, um die ihr zugedachte Rolle spielen zu können? Das Kribbeln in ihrem Magen hatte zugenommen, war mittlerweile ein Krampf geworden. Am Berg würde sie spätestens jetzt umdrehen.
34
Lydia rannte laut schreiend den Flur entlang.
Er! In ihrer Wohnung!
»Valeska!«
Die Stimme war zu hoch.
»Valeska! Was ist denn? Warte doch!«
Maren? Lydia stoppte, drehte den Kopf. Das war Maren! Nicht er! Maren! Sie brauchte Licht. Licht! Der nächste Schalter leuchtete nur wenige Meter entfernt an der Wand. Sie machte einen Schritt, doch ihre Beine versagten. Eben noch war sie gerannt wie eine Gazelle, jetzt zitterte sie am ganzen Körper, unfähig, sich zu bewegen. Sie stützte sich an der Wand ab und streckte den Arm aus. Mit dem Klick kam das Licht zurück. Da stand sie. Tatsächlich – Maren. Neben dem Lichtschalter. Ihr Gesicht ein filigranes Fragezeichen, ihre Haltung seltsam gekrümmt, ähnelte sie einer alten Frau, der die Last des Lebens über die Jahre das Kreuz gebeugt hatte. Humpelnd kam sie näher. Lydia spürte, wie sich die Eisenkralle, die eben noch ihre Brust zusammengequetscht hatte, langsam löste.
»Valeska, was ist denn? Warum rennst du vor mir weg?«
»Ich … ich hatte nicht mit dir gerechnet.« Schwer atmend hielt sie die Hand an ihr Herz gepresst, spürte das heftige Pochen, das sich nur langsam beruhigte.
»Aber du hast mir doch selbst den Schlüssel gegeben, für Notfälle.«
Maren verstummte, musterte sie.
»Wie siehst du denn aus? Was ist mit deinen Haaren?«
Lydia nahm die Kapuze ab und fuhr sich durch die kurzen Haare, registrierte die Skepsis in Marens Augen. »Gefällt es dir?«
Marens Mundwinkel zuckten. Endlich hob sie die Hand und stupste Lydia an.
»Du bist drauf, echt krass.«
Lydia legte den Arm um Marens Schulter.
»He«, sagte sie und hörte ihrer eigenen Stimme die ehrliche Freude an. »Schön, dich zu sehen.«
Langsamer, als ihr lieb war, gingen sie zurück in die Wohnung. Mit Besorgnis beobachtete sie, wie viel Mühe Maren die wenigen Schritte
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