Ich sehe dich
über ihren Rückfall stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Tut mir leid.« Schuldbewusst zog sie eine Zigarettenschachtel aus ihrer Manteltasche und gab sie ihm. »Hier. Ich war einfach so geschockt wegen Tini.«
Er öffnete die Schachtel und zählte nach. »Sieben Stück! Jeden Tag eine, Zug für Zug zurück in die Sucht.«
Mit beiden Händen zerknüllte er die Schachtel, bis sie nur noch bröselige Tabakreste enthielt, und gab sie ihr zurück. Schweigend gingen sie die letzten Stufen hoch.
»Na gut, hoffen wir, dass es wirklich nur ein Ausrutscher war.« Mit der linken Hand rückte er seinen Krawattenknoten gerade, bevor er die Praxis betrat. Gemeinsam gingen sie einen breiten Gang entlang, an dessen hohen Wänden Bilder im Stil von Mark Rothko hingen. Neben der Anmeldung stand eine große schlanke Frau Mitte vierzig, die sie freundlich anlächelte.
»Guten Tag, Sie müssen Sara und Ronald Neuberg sein.« Dr. Rosen schüttelte Saras Hand, dann Ronnies. Sie führte sie in einen großen Raum. Sara bemerkte zuerst die gemütliche Sitzecke, die einen seltsamen Kontrast zu dem fast leeren, überdimensionierten Schreibtisch bildete, auf dem eine moderne Bronzestatue, ein stilisiertes Liebespaar, stand. Ob das ein Symbol sein sollte für die Paare, die hierherkamen und sich ihr anvertrauten, um wieder zu dem Liebespaar zu werden, das sie einst gewesen waren?
»Setzen Sie sich«, forderte Dr. Rosen sie auf und deutete auf zwei einladende, dunkelbraune Ledersessel. Ihre Stimme hatte etwas Beruhigendes. »Ich spreche bei einer Paartherapie die Ehepartner gerne mit dem Vornamen an, ist das für Sie in Ordnung?«
Sara und Ronnie nickten zustimmend.
Dr. Rosen lächelte. »Was kann ich für Sie tun?« Die Hände locker in ihrem Schoß gefaltet, schaute sie abwechselnd von einem zum anderen.
»Ronald?« Dr. Rosen sprach Ronnie schließlich direkt an. »Wissen Sie, warum Sara diesen Termin für Sie beide ausgemacht hat?«
»Nun, meine Frau reagiert in letzter Zeit mir gegenüber sehr gereizt, egal, was ich sage. Unangemessen gereizt, wie ich meine.« Er warf Sara einen Seitenblick zu. »Ich bin hier, weil ich meine Frau liebe und sie diesen Termin für wichtig hält.«
»Sara?« Dr. Rosen wandte sich Sara zu. »Sehen Sie das auch so?«
»Naja, ich finde meine Reaktion meistens nicht unangemessen.« Sie versuchte, den aufsteigenden Ärger zu unterdrücken, doch es gelang ihr nicht. Typisch Ronnie. Der liebende Ehemann, der sich so bemühte, alles richtig zu machen, aber an den unberechenbaren Launen seiner Frau scheiterte. Sie glättete die Stirnfalte, die sich zwischen ihren Augen gebildet hatte, und fuhr fort. »Überhaupt, was wäre denn eine angemessene Reaktion, wenn Ronnie sagt, ich sähe nuttig aus? Oder vor seiner Mutter behauptet, ich würde nur Tiefkühlkost auftischen?«
Sie sah, wie er sich angespannt aufrichtete. Solche Ausrutscher wollte er lieber nicht vor Dritten wiederholt haben, würde es doch sein Image als Super-Ehemann ankratzen.
Er lächelte sie nachsichtig an, als sei sie ein kleines Kind, das beim Ausfragen die falsche Antwort gegeben hatte. »Schatz, das war ein Scherz, du weißt das. Müssen wir diese alten Geschichten aufwärmen?«
»In gewisser Weise ja«, antwortete Dr. Rosen, »wenn es ein Beispiel für Ihre Fehlkommunikation ist. Sie sagen A, Sara versteht B. Sie müssen lernen, das zu erkennen. Nehmen wir das Tiefkühlkostbeispiel. Was ist genau passiert?«
Er betrachtete seine Fingernägel und atmete tief durch. »Ich habe mir den offenbar unverzeihlichen Scherz erlaubt, dass Sara unter gesunder Ernährung versteht, Fertiggerichte mit Petersilie zu verzieren. Das war’s. Bin ich jetzt ein Psychopath?«
Sara hörte, wie seine Stimme langsam ungehalten wurde.
»Nein, Ronald.« Dr. Rosen suchte seinen Blickkontakt. Anscheinend wollte sie ihn besänftigen. »Aber offensichtlich fand Sara das nicht witzig. Im Gegenteil, es hat sie so getroffen, dass sie es heute als Beispiel erwähnt.«
Sie wandte sich an Sara. »Sara, können Sie mir sagen, warum Sie das verletzt hat?«
»Weil ich dastand wie ein Idiot. Ausgerechnet vor seiner Mutter, die mag mich eh nicht.« Sara verzog das Gesicht.
»Warum bitten Sie Ronald in so einer Situation nicht, solche Kommentare zu unterlassen?«
»Was soll ich denn sagen? Stimmt gar nicht? Oder aufzählen, was ich wirklich koche? Wir sind doch nicht im Kindergarten.« Sie suchte seinen Blick. Dann fügte sie leiser hinzu: »Ich habe mir immer
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