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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Clark
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schlaffe Hand und drückte sie. Zum ersten Mal seit sie den Raum betreten hatte, lächelte Anja.
    »Grüß Michael von mir.«

37
    Sara konnte in dem Mienenspiel ihrer Mutter wie in einem Bilderbuch lesen. Ich weiß nicht, was du damit bezweckst, sagte ihr Blick, als sie das Notizbuch über den Küchentisch zu ihr zurückschob. Sie schloss die Augen. Ein Gefühl der Beklemmung schnürte ihr die Brust ein, wie ein Korsett, dessen Bänder mit aller Kraft zusammengezogen wurden. Was, wenn ich es nicht schaffe? Der Gedanke, dass sie dieser Aufgabe nicht gewachsen war, dass ihre Schwester Jahre im Gefängnis verbringen könnte, unschuldig weggesperrt, drückte Sara nieder. Sie verspürte Angst. Angst vor der Verantwortung. Angst zu versagen. Angst, ihre engste Vertraute zu verlieren.
    »Schläfst du?«
    »Ich sammle Motive«, sagte sie müde und öffnete die Augen. Sie nahm einen Stift, malte einen ausladenden Kreis unter ihre Motiv- und Täterlisten und schrieb ein Wort hinein.
    »Folterkammer?« Ihre Mutter entzifferte das Wort und schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Der Teil des Forums, in dem Tini den Mord an Paul beschrieben hat, du weißt schon.«
    Die Mutter schüttelte wieder den Kopf, diesmal mit einem Ausdruck von Missbilligung im Gesicht. »So haben die das genannt? Wie barbarisch. Dass Tini bei so was mitgemacht hat … Ich versteh das nicht!«
    Sara setzte die Namen Paul und Heiner unter den Kreis und verband sie damit. Dann kringelte sie ihre Liste der Verdächtigen ein und zog einen Strich von dort zu dem Wort Folterkammer.
    »Die Todesfälle von Heiner und Paul müssen mit der Folterkammer zu tun haben. Darauf baut unsere Verteidigung auf. Wenn Michaels Theorie stimmt, könnten beide Morde ein Ablenkungsmanöver sein.«
    »Das ist ja furchtbar!«, entfuhr es ihrer Mutter.
    »Wenn es ein Psychopath war«, Sara wanderte mit ihrem Stift zu dem Wort Psycho auf der Motivliste und unterstrich es, »wird es kein spezielles Motiv für die Morde geben. Vielleicht steht der Mörder auf Gift und hat deshalb die beiden ausgewählt. In jedem der beiden Fälle gibt es aber eine Verbindung zur Folterkammer.«
    »Eine Giftmischerin! Natürlich! Die Frau ist dem Mann im Zweikampf unterlegen und wählt Gift. Das würde gut zur Klientel des Forums passen. Da sind doch nur Frauen, oder?« Ihre Mutter griff nach dem Notizbuch und hielt es sich dicht vor die Augen.
    »Das wissen wir nicht«, antwortete Sara. »In den Mitgliederbereich vom Frauenwehr-Forum kommt man zwar nur auf persönliche Einladung von Valeska, und man muss unter seinem echten Vornamen schreiben, aber wer weiß schon, wer wirklich dahintersteckt. Im virtuellen Raum ist alles möglich. Du bist die, für die du dich ausgibst.«
    Die Mutter sah sie verwirrt an. Sara seufzte. »Okay. Ein Beispiel: Ein Mann meldet sich in irgendeinem Hilfeforum oder Chat als Heidi an und lässt ’ne gute Story ab. So richtig heftig auf die Tränendrüse à la »ich kann nicht mehr« und so. Wenn Valeska diese Heidi dann zu Frauenwehr einlädt, ist er drin. Tini hat ja auch erst im öffentlichen Teil unter dem Pseudonym Esperanza geschrieben und ist dort von Valeska zum nicht öffentlichen Bereich von Frauenwehr eingeladen worden.«
    »Warum um Himmels willen sollte sich ein Mann als Heidi ausgeben wollen?«
    »Zum Beispiel, weil er von Frauenwehr gehört hat und weiß, dass er in den nicht öffentlichen Bereich nur als Frau kommt. Oder weil es ihm einen Kick gibt, sich in dem Leid dieser Frauen zu suhlen. Oder … «
    »Schon gut! Ich habe verstanden. Wir können also Männer nicht ausschließen, aber wenn das mit der Mamba stimmt, dann muss der Mörder mit einer Giftschlange umgehen können. Das kann man nicht vortäuschen.« Ihre Mutter studierte das Schema eingehend. Plötzlich hob sie den Kopf und schaute Sara über den Rand des Notizbuchs hinweg an. »Michael Seitz? Ist das nicht Tinis Anwalt?«
    Sara nickte, doch es fühlte sich falsch an. »Ja. Das ist er.«
    »Das meinst du aber nicht ernst, oder? Warum ist er auf der Liste der Verdächtigen?«
    Sara nahm ihrer Mutter das Notizbuch aus der Hand und legte es wieder zwischen ihnen auf den Tisch. Mit einem X markierte sie das Wort Rache . Ja, warum war er auf der Liste? Weil dieser König ihn für verdächtig hielt und er das Forum kannte? Oder weil er sich mit Paul geprügelt und mit Heiner eine offene Rechnung ausstehen hatte? Oder weil die Polizei glaubte, dass er ein Verhältnis mit Tini gehabt hatte? Eine Menge

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