Ich sehe was, was du nicht siehst
ihren Stolz und trug nicht dazu bei, ihre schlechte Laune zu verbessern. »Hör auf, das Thema zu wechseln. Warum bist du hier?«
»Warum hast du diesen Mann verfolgt?«, konterte er.
Sie deutete auf die Streifenwagen. »Wie ich bereits Lieutenant Hamilton gesagt habe: Er hat unbefugt mein Grundstück betreten. Ich bin hinausgegangen, um ihn zur Rede zu stellen, und er ist weggerannt. Ich habe nicht nachgedacht, sondern einfach nur reagiert, und bin ihm nachgelaufen.«
»Warum hast du nicht die Polizei gerufen?«
»Das habe ich«, erwiderte sie spitz. »Und zwar, als ich ihn das
erste Mal
dabei erwischt habe, wie er mich beobachtet hat. Und beim zweiten Mal. Und beim dritten Mal. Aber bis die Polizei sich die Mühe gemacht hat, vorbeizuschauen, war er jedes Mal wieder weg.«
Seine Augen wurden groß. »Dann hat dieser Mann dich zum
vierten
Mal belästigt? Und da dachtest du, es wäre eine gute Idee, ihn zur Rede zu stellen?« Er fluchte und schüttelte den Kopf. »Warum hast du Logan heute Morgen, als du mit ihm telefoniert hast, nicht gesagt, dass du belästigt wirst?«
Madison saß regungslos da. »Woher weißt du, dass ich heute Morgen mit ihm gesprochen habe?«
Er warf dem Sanitäter einen unbehaglichen Blick zu, ehe er antwortete. »Logan hat mich angerufen und mir erzählt, dass du aufgeregt und verstört geklungen hättest. Er hat mich gebeten, bei dir vorbeizuschauen, um nachzusehen, ob bei dir alles in Ordnung ist.«
»Ha! Du meinst wohl, um nachzusehen, ob ich mich in Schwierigkeiten gebracht habe«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Flitterwochen oder nicht, ihr Bruder würde was zu hören bekommen. Sie hätte wissen müssen, dass es keine gute Idee war, ihn anzurufen. Aber als der Mann schon wieder in ihrem Garten gestanden hatte, hatte sie sich nach dem Rat ihres Bruders gesehnt, der immerhin Polizeichef war. Als sie jedoch seine fröhliche Stimme gehört hatte, hatte sie sich nicht dazu überwinden können, ihm von ihren Sorgen zu erzählen. Er und Amanda hatten so viel durchgemacht. Sie verdienten unbeschwerte Flitterwochen.
Jetzt, da sie über Pierce’ Worte nachdachte, kam ihr plötzlich ein furchtbarer Verdacht. »Warte mal. Es ist kaum eine Stunde her, dass ich mit Logan telefoniert habe. Und die Fahrt von Jacksonville hierher dauert mindestens drei Stunden. Bist du etwa wegen eines Falls nach Savannah gekommen?«
Er sah aus, als würde er ihre Frage nur ungern beantworten. Die Fältchen um seine Augen herum vertieften sich, und er presste die Lippen zusammen. »Ich wohne nicht mehr in Florida, sondern hier, in Savannah.«
Sie atmete hörbar ein.
Pierce lebte in derselben Stadt wie sie.
Der Gedanke ließ sie nicht los, es fühlte sich an, als würde eine Hand ihr Herz zusammendrücken und ihr die Luft aus der Lunge pressen.
Eigentlich konnte es ihr egal sein.
Es konnte ihr egal sein, dass er in ihrer Nähe lebte. Es brauchte sie nicht zu interessieren, dass sie ihm jederzeit im Supermarkt über den Weg laufen oder ihm auf der Straße begegnen konnte. Und auch, dass sie in diesem Moment die Hand ausstrecken und mit den Fingern über seine goldene Haut fahren könnte.
Das alles müsste ihr vollkommen gleichgültig sein.
Aber zur Hölle, das war es nicht.
Sie musste sich zweimal räuspern, ehe sie wieder ein Wort herausbrachte. »Wie lange bist du schon in Savannah?«
Der Sanitäter warf ihr einen kurzen Blick zu und legte dann den Verbandsmull weg. »Sie können die Arme jetzt herunternehmen, Mr Buchanan.«
Pierce senkte die Arme und musterte sie mit einem wachsamen Ausdruck im Gesicht. »Seit zwei Monaten.«
Zwei Monate?
Als sie sich auf der Hochzeit ihres Bruders gesehen hatten, hatte er sich nicht die Mühe gemacht, ihr von seinem Umzug zu erzählen. Sie hatte ihn allerdings ebenso wenig darüber informiert, dass sie umgezogen war; vor allem deshalb, weil sie keine Lust gehabt hatte, mit ihm zu reden, als sie sah, wie beschäftigt er mit seiner Begleiterin, einer lächerlich jungen, schönen Rothaarigen gewesen war.
Vermutlich hatte der Rotschopf gegen sein elterliches Ausgehverbot verstoßen, um Pierce zum Hochzeitsempfang begleiten zu können.
Aber
Logan
musste gewusst haben, dass Pierce nach Savannah gezogen war. Pierce war für Logan so etwas wie der Bruder, den er nie gehabt hatte, insbesondere angesichts der Ereignisse des vergangenen Jahres, als er und Pierce Amanda aus den Händen eines Serienmörders gerettet hatten. Und er hätte Pierce ganz
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