Ich soll nicht töten
unterdrückt. Lies über Thomas Jefferson. Lies, was weiße Männer mit schwarzen Frauen in Amerika früher taten.
Jazz wusste alles darüber. Ich bin keiner von denen, hätte er gern gesagt. Ich bin kein schlechter Mensch. Das ist lange her.
Aber wer war er, um so über die Vergangenheit zu sprechen? Oder zu behaupten, er sei ein guter Mensch.
Warum hast du ihn nicht aufgehalten?, hatte der Junge gejammert.
Ich hätte dieses Messer aus der Spüle nehmen sollen und ihn schneiden. Ich hätte Billy schneiden sollen. Das haben alle von mir erwartet.
… braver Junge, braver Junge …
Connie missverstand Jazz’ Schweigen als Besorgnis wegen ihres Vaters. Sie zuckte nur mit den Achseln, als sie sah, wie er den SUV betrachtete. » Er wird sich benehmen. Du kannst ruhig hereinkommen.«
» Ich muss einfach in Ruhe nachdenken«, sagte er. » Ich bin ein bisschen durch den Wind.«
Sie küsste ihn sanft auf die Lippen, dann drückte sie sich für einen heftigeren Kuss an ihn. Einen Moment lang musste er unwillkürlich daran denken, was sonst alles in diesem Jeep geschehen war. Nach Billys Geständnis war das beschlagnahmte Beweismaterial größtenteils zurückgegeben worden, und Jazz konnte sich kein neues Auto leisten. Aber wie viele Verbrechen hatte Billy auf diesem Sitz geplant? Wie viele Opfer hatte er mit dem Wagen verfolgt?
Aber dann machte er sich davon frei und ergab sich dem Kuss, dem sanften Drängen von Connies weichen Lippen, der Wärme ihrer Zunge, dem vertrauten Geruch ihres Haars. Als sie sich voneinander lösten, zog sie eine Augenbraue in die Höhe und fragte mit einem passablen jamaikanischen Akzent: » Und Sie wollen ganz sicher nicht noch hereinkommen, Reverend Hale?«
Jazz lachte. » Danke, Tituba, aber ich muss los und die unsichtbare Welt einfangen, bestimmen und berechnen.«
Sie küssten sich noch einmal flüchtig, dann stieg Connie aus, wobei sie ihn erneut ermahnte: » Keine Dummheiten mehr, okay?«
Der Ausflug ins Leichenschauhaus in der Nacht zuvor blitzte kurz in Jazz’ Erinnerung auf.
» Warum sollte ich Dummheiten machen?«, fragte er.
Womit sie sich zufriedengab. Aber es war keine Abmachung, und es war auch keine Lüge.
8
An schlechten Tagen fragte sich Jazz, ob er im übertragenen Sinn den Platz seines Vaters eingenommen hatte, so wie er im wörtlichen Sinn seinen Platz hinter dem Lenkrad des Jeeps eingenommen hatte. War das sein Schicksal? Billy Dent hatte kein Geheimnis aus seinen Plänen für Jazz gemacht. Du wirst der Größte von allen werden, Jasper. Sie werden dich nie fassen. Du wirst der neue Boogeyman sein, mit dem Eltern ihren Kindern Angst machen, damit sie gehorchen. Du wirst Speck, Dahmer und sogar den gottverdammten Jack the Ripper vergessen machen. Mein Junge. Mein Junge.
Aber heute war kein schlechter Tag gewesen. Die Probe für das Stück war gut gelaufen, Connie hatte ihm verziehen, dass er beim Einbruch in das Leichenschauhaus erwischt worden war. Ein Teil von ihm wünschte, er könnte die Jagd nach dem Mörder der Jane Doe einfach vergessen. Einfach ein normaler Jugendlicher sein. Nach vorn schauen, nicht zurück. Sich vielleicht auf das Stück konzentrieren. Auf die Schule. Darauf, ein besserer Freund für Howie und für Connie zu sein. Ihrem Vater ein für alle Mal beweisen, dass er gut zu seiner Tochter passte, und der Welt beweisen, dass er nicht zu einem neuen Billy heranwuchs.
Das wäre nett.
Ja, sicher. Und Howie spielte in der nächsten Saison vielleicht Center für die Pistons.
Als das Haus seiner Großmutter linker Hand in Sicht kam, begrüßte ihn ein vertrauter Anblick: Eine Limousine neuerer Bauart stand in der Einfahrt. Er stöhnte laut auf und zwang sich dann zu einem freundlichen Lächeln. Es ging leicht, fast reflexartig– Jazz hielt die Besitzerin der Limousine nun schon eine ganze Weile zum Narren.
Er parkte neben dem Wagen und stieg aus. Die Besitzerin des Fahrzeugs– die einzige Person, die ihn noch mehr ärgerte als Doug Weathers– saß auf der Eingangstreppe: Melissa Hoover, Sozialarbeiterin. Sie arbeitete für das County, und seit Billy ins Gefängnis gekommen war, hatte sie nur ein Ziel im Leben: Jazz aus dem Haus seiner Großmutter zu entfernen und dann entweder in einer Pflegefamilie oder bei seiner Tante Samantha unterzubringen. Samantha. Die Jazz noch nicht einmal kennengelernt hatte. Die seit fünfzehn Jahren nicht mit Billy gesprochen hatte. Die schwor, sie würde den Schalter eigenhändig umlegen, falls die Behörden
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