Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Lyga
Vom Netzwerk:
wollten oder nicht. Doch er durfte nicht zulassen, dass sie merkte, wie schlimm es inzwischen um Großmutter stand. Denn dann könnte sie ihn fortholen.
    » Ich weiß nicht, warum Sie immer hierherkommen«, sagte Jazz, » aber ich muss zugeben, ich sehe Sie gern.«
    Melissa fiel nicht darauf herein, aber sie sagte nichts dazu, wie nahe er an sie herangerückt war. Hätte er sie töten wollen, wäre er jetzt nahe genug gewesen. So nahe, dass sie absolut nichts tun könnte, um ihn aufzuhalten. So zäh sie war, so fähig sie war, ihr Leben lag jetzt in seiner Hand, und sie wusste es nicht einmal.
    Aber Menschen zählen … Selbst Menschen, die in meinem Leben herumpfuschen.
    » Sie ist eine kranke alte Frau, und es wird nicht besser mit ihr«, sagte Melissa. » Ich glaube, sie gleitet auch schön langsam in die Senilität ab.« Ha. Wenn du wüsstest … » Du bist ein prachtvoller Junge– ein prachtvoller junger Mann– und hast das ganze Leben noch vor dir.«
    » Dann soll ich sie also einfach sich selbst überlassen?«
    » Das habe ich nicht gesagt. Aber du solltest an dich selbst denken.«
    »› An sich selbst denken‹ ist eines der Diagnosekriterien einer antisozialen Persönlichkeitsstörung«, sagte Jazz. » Sie sollten froh sein, dass ich an jemand anderen denke. Es bedeutet, dass ich möglicherweise kein Soziopath wie Billy bin.«
    » Du bleibst bei ihr, weil du glaubst, indem du dich um die Frau kümmerst, mit der alles angefangen hat, kannst du irgendwie Wiedergutmachung für alles leisten, was sie und dein Vater angerichtet haben und weiter dein eigener… Hörst du mir überhaupt zu, Jasper?«
    » Natürlich«, sagte er geschmeidig. » Hören Sie, ich bin siebzehn. In einem Jahr stehe ich auf eigenen Füßen.«
    » Selbst ein Jahr in dieser verseuchten Umgebung könnte…«
    » Verseucht?« Seine Mimik entgleiste ihm, und er ließ seinen Zorn sichtbar werden. » Sie halten das hier für verseucht? Wo waren Sie an meinem neunten Geburtstag, als mir Billy gezeigt hat, wie man Leichenteile in ungelöschtem Kalk auflöst?«
    Melissa trat einen Schritt zurück, riss die Augen auf und legte eine Hand auf ihre Handtasche. Verdammt. Er war zu weit gegangen. Pfefferspray? Wahrscheinlich Pfefferspray. Bei Frauen war es fast immer Pfefferspray. Aber Jazz würde Melissa auch zutrauen, dass sie eine Knarre bei sich trug. Und nicht irgend so einen Girlie-Derringer. Es würde ihn nicht überraschen, wenn sie eine große alte Glock oder Magnum aus ihrer Handtasche ziehen würde.
    Jazz fasste sie am Handgelenk, lächelte noch breiter und ließ seine Augen vor Schalkhaftigkeit funkeln. » Ach, kommen Sie, Melissa, ich mache nur Spaß. Wenn ich über diesen Kram keine Witze reißen kann, worüber soll ich dann welche reißen? Schwarzer Humor. Gut für die Seele.«
    Jazz wandte seinen hilflosesten Welpenblick an– der funktionierte garantiert immer.
    » Ich versuche, dir zu helfen«, sagte sie. » Ich weiß, du willst meine Hilfe nicht, aber du brauchst sie, und ich gebe dich nicht auf. Ich gehe für heute. Aber nur, weil deine Großmutter einen schlechten Tag hat. Ich komme wieder, Jasper. Ich werde dir helfen, ob es dir gefällt oder nicht.«
    Jazz sah ihr nach, als sie rückwärts aus der Einfahrt fuhr, und zwang sich, fröhlich zu winken, während er innerlich kochte. Das war der schlimmste, dunkelste Teil des Fluchs, den ihm Billy Dent vererbt hatte– Frauen. Jazz wusste, dass Frauen nicht besser oder schlechter waren als Männer, aber er wusste es auf eine abstrakte Art, so wie ein Wissenschaftler weiß, dass sich ein Photon bewegt, obwohl er noch nie eins in Bewegung beobachtet hat. Seine Erziehung, sein Bauchgefühl, sein ganzes Denken sagten ihm, dass Frauen gleichzeitig etwas Besonderes und nutzlos waren. Dass sie ihn zwangen, antrieben, aber letztendlich entbehrlich waren. Ersetzbar. Gut für ein paar Dinge, aber nicht für lange.
    Von Billy Dents einhundertdreiundzwanzig Opfern– oder einhundertvierundzwanzig, je nachdem, wie man zählte– waren fast einhundert Frauen gewesen. Von den Männern waren die Hälfte Zufallsopfer. Frauen– und vor allem ein bestimmter Typ Frau– waren Kandidaten und nichts weiter.
    Das Evangelium nach Billy Dent.
    Jazz hasste diesen Teil von sich. Er hasste den Teil von sich, der eine starke Frau wie Melissa Hoover ansah und an nichts anderes denken konnte, als wie er sie schwach und verzweifelt machen könnte, ehe er schließlich…
    Nun, ehe er diese Schwäche und Verzweiflung

Weitere Kostenlose Bücher