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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Lyga
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jemals Vernunft annahmen und beschlossen, ihn hinzurichten.
    Ja, sicher, das wäre großartig.
    Jazz wollte nichts davon wissen, und das hieß, er arbeitete unablässig daran, Gramma gerade so fit aussehen zu lassen, dass sie das Sorgerecht für ihn behielt.
    Eine Woche lang nach Billys Verhaftung vor mehr als vier Jahren war Jazz in Obhut der Sozialdienste gewesen, und vier Tage davon hatte er bei einer Pflegefamilie verbracht. Nach dem ersten Schock, weil man seinen Vater verhaftet und ihn aus seinem Zuhause gerissen hatte, war Jazz auf die Fertigkeiten verfallen, die Billy ihm beigebracht hatte– schauspielern, schwindeln, sich normal geben. Er hatte die Sozialarbeiter und die Pflegefamilie mühelos zu der Annahme verleitet, es gehe ihm gut.– Ein heimlicher Blick in seine Akte hatte den Satz » bewundernswert gut verarbeitet« zutage gefördert.– Er gewährte ihnen gerade so viel Einblick, dass sie dachten, er würde an seinen » Problemen« arbeiten, und sie entließen ihn in die Obhut seiner Großmutter, seiner nächsten lebenden Verwandten.
    Aber in Wahrheit wusste er gar nicht, was seine » Probleme« waren. Er wusste, dass er sich vor seinen Kräften fürchtete und seinem Können, aber diesen Dämon musste er allein niederringen. Niemand auf Erden konnte verstehen, was er durchgemacht hatte, wie seine Erziehung gewesen war. Wie sollte ihm also jemand helfen? Er war auf sich allein gestellt.
    Er konnte diese Arbeit genauso gut hier leisten, in dem Haus, in dem Billy aufgewachsen war. Grammas Haus war das einzige Zuhause, das ihm geblieben war, und zwar ganz wörtlich: Der wohlhabende Vater eines Opfers von Dear Old Dad hatte das Dent-Haus bei einer Auktion erworben, es von einem Bulldozer niederwalzen lassen und die Trümmer dann zu Asche verbrannt. Jazz hatte im Fernsehen verfolgt, wie das Zuhause seiner Kindheit unter dem Jubel der versammelten Menge in Rauch aufgegangen war.
    Derselbe wohlhabende Vater hatte später mit Jazz Kontakt aufgenommen und ihm angeboten, die Kosten für ein College seiner Wahl zu übernehmen, da es– wie er in einem zehn Seiten langen Brief darlegte– » keinen Grund gab, warum Billy Dent noch ein weiteres Opfer fordern sollte«. Jazz hatte das Angebot höflich abgelehnt.
    Jazz schlenderte zu Melissa hinüber, die aufstand und sich über den Rock strich, als er sich näherte.
    » Hat Gramma einen Anfall vorgetäuscht, als sie Sie kommen sah?«
    » Sie hat die Flinte geholt.«
    Um Gramma Dents geistige Gesundheit stand es von Haus aus nicht zum Besten, sie hatte den Kopf voll verdrehter religiöser Dogmen, krankhafter Verschwörungstheorien und schlicht unrechten Vorstellungen, die seit Generationen in der Familie weitergegeben wurden. Inzwischen hatte sie sich von unangenehm zu regelrecht gefährlich entwickelt. Sie mied Ärzte, deshalb konnte man es nicht genau wissen, aber Jazz war auch ohne Diagnose überzeugt davon, dass sie auf dem Weg in die Demenz war– eine Meinung, die er sorgsam für sich behielt. So schlimm sie nach außen hin auch wirkte, Jazz wusste, dass es in Wahrheit noch viel, viel schlimmer um sie stand.
    Hasserfüllt, bösartig und verrückter als ein Windsack im Tornado, aber seine Familie.
    » Beide Läufe sind verschlossen, und der Schlagbolzen ist entfernt«, versicherte Jazz Melissa. » Sie hat nicht die Absicht, Sie zu erschießen, sie will Sie nur verscheuchen. Sie stammt aus dieser Generation, die Behördenvertretern nicht traut, verstehen Sie?«
    » Ich weiß, Jasper. Wenn sie in dieser Stimmung ist, gehe ich ihr einfach aus dem Weg.«
    » Wahrscheinlich das Beste, was Sie tun können.« Jazz lächelte noch breiter. » Sie sehen hübsch aus heute. Der Rock gefällt mir.«
    Melissa schnaubte durch die Nase und sah ihn böse an. » Schmeicheleien bringen dich nirgendwohin.«
    Aber er war bereits, wo er hinwollte. Er hatte sich Melissa auf weniger als Armeslänge genähert. Sie war eine schlichte Frau– nicht unattraktiv, nicht attraktiv. Schlicht eben. Mit Ende dreißig war sie unverheiratet und würde es vermutlich bleiben, eine Workaholic, die allmählich das gebärfähige Alter verließ. Jazz kannte den Typ. Er hatte alles über Melissa Hoover in Erfahrung gebracht, was er konnte, nachdem er ihr als Fall zugeteilt worden war. Er hatte sie sogar einen Tag lang verfolgt und dabei all die nützlichen Fertigkeiten angewandt, die Billy Dent ihm weitergegeben hatte. Er wusste, sie war zäh, und dass sie sich um Jugendliche kümmerte, ob die es

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