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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Lyga
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sie und unterstrich die Worte jeweils mit einem Ruck der Flinte.
    Mit einer flüssigen, nicht überhasteten Bewegung pflückte Jazz die Waffe aus ihren Händen. » Ja. Knoblauch. Wenn du das Zeug gegessen hast, wird kein Vampir näher als hundert Meter an dich herankommen.«
    Gramma schniefte und verschränkte die Arme vor der Brust. » Es gibt keine Vampire. Nur Ungeheuer.«
    Dagegen konnte Jazz nichts sagen. Er gab Gramma die Flinte zurück, die sie ansah, als wäre es ein neues Spielzeug, und dann gelangweilt neben das Sofa legte. Wäre die ganze Szene nicht inzwischen zur Routine für ihn geworden, Jazz hätte sie lustig oder erschreckend gefunden.
    Wahrscheinlich lustig.
    Er machte wie versprochen Farfalle und Käse. Nach dem Essen stand er an der Spüle, wusch ab und schaute aus dem Fenster zu dem alten, verlassenen Vogelbad, als Gramma plötzlich hinter ihn trat und ihm einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte.
    » Für dein Nachmaulen!«, kreischte sie.
    Jazz umklammerte den Rand der Spüle und ermahnte sich, nicht herumzufahren und zurückzuschlagen. Sie war eine schwache alte Frau. Er war ein kräftiger junger Mann. Ein Schlag von ihm konnte sie zum Krüppel machen, wenn nicht töten.
    Ein weiterer Schlag. Jazz fuhr fort abzuspülen. Schläge von Gramma waren eher eine Unannehmlichkeit als irgendetwas sonst. Er ließ ihre knochigen Arme auf sich eintrommeln, bis sie müde wurde und an die Küchentheke taumelte, wo sie sich an die Brust fasste und keuchend atmete. Dass sie sich an die Brust fasste, war neu. War sie im Begriff, hier und jetzt einen Herzinfarkt zu erleiden?
    Jazz wusste nicht, was er davon halten sollte. Niemand würde weinen, wenn Gramma starb. Tot wäre sie nichts als eine weitere Leiche im Dent’schen Familienverzeichnis. Lebend jedoch: Melissa Hoover hatte gesagt, seine Fürsorge für Gramma würde ihre Schuld vielleicht irgendwie tilgen. Oder die seines Vaters. Oder seine eigene. Vielleicht würde er etwas bemerken, wenn er sich um sie kümmerte, etwas über seine Herkunft in Erfahrung bringen, etwas, das ihm eine Art Einsicht in Bezug auf seinen Vater und seine eigene Erziehung lieferte. Etwas, das ihm half, eine Zukunft zu vermeiden, die ihm an manchen Tagen unausweichlich erschien. Eine bluttriefende Zukunft.
    Oder vielleicht eher…
    » Genau wie dein Daddy«, keuchte Gramma und tastete sich zu einem Sessel, nachdem sie offenbar beschlossen hatte, nicht zu sterben. » Du bist genau wie dein Daddy.«
    Und das schmerzte. Mehr als es ihre Schläge je könnten.
    Nachdem er Gramma gewaschen und ins Bett gebracht hatte, erlaubte sich Jazz endlich, in sein eigenes Bett zu sinken, aber nicht für lange. Er musste seinen neuerlichen Ausflug zum Fundort der Leiche vorbereiten. Erst schaute er sich die Gegend auf Google Earth an, obwohl er sie bereits gut kannte. Dann packte er eine kleine Sporttasche mit allem, was er und Howie voraussichtlich brauchen würden.
    Hatte er etwas vergessen? Er kippte in seinem Schreibtischsessel nach hinten und starrte an die Wand. Vor langer Zeit hatte er Bilder von den Opfern seines Vaters an die Wände geklebt– hundertdreiundzwanzig Fotos, aus Zeitungen ausgeschnitten, aus dem Internet ausgedruckt, aus G. Williams Akten kopiert. Er sagte sich, es sei eine Ermahnung. Eine Erinnerung daran, was geschehen könnte, falls er je die Gewalt über sich verlor.
    In diesem Verzeichnis der Toten gab es ein einhundertvierundzwanzigstes Foto, eingeordnet zwischen Billys achtzigstem und einundachtzigstem offiziellen Mord. In dieser Zeit hatte Billy vermutlich die Frau auf dem Foto getötet, Jazz’ Mutter.
    Das Foto war alles, was von ihr geblieben war. Das und ein paar spärliche Erinnerungen an sie aus seiner Kindheit: Rusty, der Hund, den sie ihm als Welpen geschenkt hatte. Der Geruch von Törtchen im Ofen. Das Aroma ihrer selbst gemachten Zitronenglasur. Das war alles. Er erinnerte sich an so wenig von ihr, aber auf der Grundlage von Grammas Bemerkungen und Billys Taten gab es nur eine vernünftige Schlussfolgerung: Seine Mutter war die eine gute Sache in seinem Leben gewesen, und auch wenn er nur herzlich wenige Erinnerungen an dieses Gute hatte, er wäre dafür gestorben oder hätte dafür getötet, sie zu bewahren.
    Die Polizei konnte keine Hinweise darauf finden, dass Billy Mom getötet hatte. Sie galt offiziell als vermisst, und ihr Fall war kälter als ein Eis am Stiel. Jazz wusste nur, dass sie an einem Tag noch in seinem Leben gewesen war und am nächsten

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