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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Lyga
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nicht mehr. Er war acht Jahre alt gewesen, und als er Billy fragte: » Wo ist Mom?«, hatte Billy nur mit den Achseln gezuckt und gesagt: » Weggegangen.« Das war alles, was er je dazu sagte, wie viel Jazz auch fragte. Er konnte bitten und betteln: » Weggegangen.« Heulen und jammern: » Weggegangen.« Drohen und toben: » Weggegangen.«
    Was ihm blieb, waren die halb erinnerten Schnipsel aus seiner Kindheit. Erinnerten sich andere Leute klar und deutlich an ihre Kindheit? Jazz wusste es nicht, aber bei ihm war es gestört und nebulös. Billys Lektionen blieben natürlich. Der Tag, an dem er Howie kennengelernt hatte. Was mit Rusty geschehen war. Aber vieles andere war nur ein Fluss von Bildern, Gedanken und Gefühlen, so schmutzig, dass niemand aus ihm trinken konnte, ohne zu würgen.
    Und diese eine Erinnerung. Oder der Traum. Oder beides. Er wusste nicht, was es war. Aber es fühlte sich so real an. Das Messer. Die Stimme. Billys Stimme, das wusste er, die ihm befahl, das Messer zu nehmen. Billys Hände, die seine eigenen führten, Billys Stimme wieder…
    Ein Messer …
    Ein Messer und Haut und Fleisch, und er spürt den Widerstand, und woher kennt er es? Woher kennt er den Widerstand von Fleisch?
    Eine zweite Stimme, gepresst vor Schmerz, ein leiser Aufschrei.
    Unter allen seinen Opfern war Janice Dent das einzige, über das sich Billy zu reden weigerte. Was ganz normal war. Serienmörder gaben zwar vor zu gestehen, aber sie sagten seit jeher nie wirklich die Wahrheit. Im 19. Jahrhundert gestand H. H. Holmes, während der Weltausstellung in Chicago siebenundzwanzig Frauen getötet zu haben, aber die Polizei war überzeugt, dass er mehr als hundert ermordet hatte.
    Jazz wusste über Mörder Bescheid. Billy hatte die Serienmörder der Vergangenheit studiert, wie Maler die Renaissance-Meister studieren. Er lernte aus ihren Fehlern. Er ereiferte sich für sie. Und er gab sein Wissen an seinen Sohn weiter– das waren die Dinge, an die er sich aus seiner Kindheit erinnerte.
    Mörder hielten immer etwas zurück. Sie konnten nicht anders.
    Billy hielt Jazz’ Mom zurück.
    Außer den hundertvierundzwanzig Opferbildern gab es nur noch ein weiteres Foto im Raum, dieses von einer noch lebenden Person. Es war ein Schwarz-Weiß-Foto eines hübschen, schlanken Teenagers in einem adretten Kleid, mit einem Pillbox-Hut auf dem Kopf und einer kleinen Handtasche in der Hand. Sie stand vor einer Kirche und lächelte in die Kamera.
    Seine Großmutter als junge Frau. Jahre bevor sie ein Ungeheuer gebar.
    Jazz folgte der Chronologie von Billys Laufbahn und sagte sich die Namen aller Opfer vor, während er die Bilder betrachtete. » Cassie Overton«, fing er an. » Farrah Gordon. Harper McLeod.« Er endete bei Grammas altem Foto.
    » Eines Tages«, murmelte er. » Eines Tages könnte ich kippen. Ich bin der Sohn meines Vaters. Es wäre möglich. Und wenn dieser Tag kommt, wenn ich mein erstes Opfer töte… dann könntest durchaus du es sein.«
    Zu seiner eigenen Überraschung begann er zu weinen, aber er wusste nicht, ob es um seine Großmutter war oder um sich selbst. Er dachte nicht gern daran, sie zu töten, aber er konnte nicht anders; es fühlte sich gut an. Sie war ein schrecklicher Mensch. Sie hatte der Welt den » Künstler«, Green Jack, oder welchen Spitznamen immer man für Dear Old Dad benutzen wollte, geschenkt. Er wollte herausfinden, was in ihr vorging, aber er wollte auch, dass sie vom Angesicht des Planeten verschwand. Vielleicht, nur vielleicht, würde er sich dann nicht so schuldig fühlen.
    Aber er wusste, das stimmte nicht. Er würde sich immer schuldig fühlen. Er hatte seine eigene Mutter nicht beschützen können. Er hatte diesem Jungen nicht helfen können, der vor der Apotheke zu seinen Füßen zusammengebrochen war. Er hätte Billy vor Jahren im Schlaf töten sollen. Er wusste weiß Gott, wie man es anstellte– Billy hatte ihn schließlich in der blutigen Kunst des Mordens unterrichtet, seit er laufen konnte. Er konnte mit Messern, Schusswaffen, Beilen und Hämmern umgehen… Billy hatte einen alten Handbohrer in einem Küchenschränkchen aufbewahrt, und Jazz hätte mitten ins Gehirn seines Vaters bohren können, während Dear Old Dad schlief. Er hätte es tun und der Welt die grausamen Morde ersparen können, die noch folgten.
    Die Leute sagten zu ihm: Du warst dreizehn. Du konntest Recht von Unrecht unterscheiden. Du wusstest, was er tat, war falsch. Warum hast du ihn nicht aufgehalten?
    Was sie nie

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