Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
in der Not. Auch der Klopsch, diesem Fremdkörper, der alles verpatzte. Jetzt war sie nun mal da, dann wurde sie auch mitgezogen. Und, was mir neu war: wirklich gemocht, auch von den Bühnenarbeitern. Das waren tolle Leute und hoch qualifizierte Handwerker. Die Tischler bauten diese aufwendigen Kulissen, die Klempner sorgten dafür, dass Zehntausende Liter Wasser in die Bassins liefen. Immer ging es um enorme Dimensionen. Und diese Jungs standen auf mich. Ich sah ja auch niedlich aus, rund und sexy. »Sexy Klopschi« nannten sie mich.
Wenn ich heute meine Fotos vergleiche, die vom Ballett und die aus Las Vegas, sehe ich zwei völlig verschiedene Frauen. Ich hatte am Lido meinen Ehrgeiz abgeschüttelt, die verbissene Tänzerin gab es nicht mehr. Der Spaß mit den Mädchen war wichtiger als alles andere. Und so staunte ich mächtig, dass ich eine kleine Rolle übernehmen sollte. Ich, die schlechteste Bluebell von allen, sollte in einer kleinen Szene auftreten, die im Louvre spielte. Die Mona Lisa von Leonardo da Vinci sollte gestohlen werden. Ein Showgirl, das der Mona Lisa glich, stellte die Diebin dar, ich spielte die Museumswärterin. Wir tanzten unsere Rollen mit dramatischen Posen, wie eine Pantomime, und ich in meiner Rolle konnte den Diebstahl verhindern.
Ende der Achtzigerjahre, als ich schon in Paris lebte, besuchte ich Miss Bluebell in ihrer Wohnung in Montmartre. Wir sprachen über die Probenzeit und meine Aussetzer. »Ich war der blanke Horror«, sagte ich. »Nein, es war neu für dich«, entgegnete sie. »Wir haben immer gesehen, dass etwas Besonderes in dir steckt. Sonst hätten wir dir die kleine Rolle nicht gegeben.« Das ist das Tolle an den Amerikanern: Sie stecken die Menschen nie in eine Schublade. Wenn jemand eine Sache nicht beherrscht, hat er vielleicht andere Qualitäten. Sie erkannten mein Schauspieltalent, bevor es mir selbst bewusst war.
Miss Bluebell schenkte mir eine Ausgabe ihrer Biografie und signierte sie für mich. Wenn ich heute darin lese, frage ich mich, ob sie an dieser Stelle wohl an mich gedacht hat: »Für Ballerinas bedeutet die Arbeit bei den Bluebells eine große Umstellung. Vieles von ihrer klassischen Ausbildung müssen sie vergessen. Es liegen Welten zwischen dem Tanzen auf High Heels mit einem meterhohen Schmuck auf dem Kopf und den konventionellen Schritten des Balletts. Aber Ballerinas haben Disziplin, Ausdauer und ungeheure Balance. Das sind drei Qualitäten, die man braucht, um als Bluebell Karriere zu machen.«
Die Gipsys
Es muss etwa in der vierzigsten Vorstellung passiert sein. Alle Bluebells tanzten zwei-, dreimal am Tag anderthalb Stunden routiniert ihre Show. Nur ich war immer noch für Überraschungen gut. Auch wenn ich mich schon zigmal vor dem Auftritt präpariert hatte, ging an diesem einen Abend alles schief. Vielleicht weil ich es besonders gut machen wollte. Ich kam extra früh und zog mich um, schlüpfte in die Netzstrümpfe, die hohen Schuhe und mein Opening -Kostüm. Dazu legte ich Strassketten und Klunkerschmuck an. Dann schminkte ich mich mit dem berühmten Pan-Cake -Make-up von Max Factor. Factor hatte es in den Dreißigern für die Farbfilmdarsteller erfunden und wir Bluebells schworen darauf. Ich klebte meine falschen Wimpern an, zog den Lidstrich und trug Rouge und Lippenstift auf – in aller Seelenruhe. Im Trainingsmantel flanierte ich hinter der Bühne herum, wo schon wie immer ein Tisch stand. Auf dem legte ich, ebenfalls wie immer, meine Federfächer ab. Stolz, dass ich so gut vorbereitet war, trödelte ich durchs Theater, bis die Show begann.
Wir tanzten unsere erste Nummer und für die Coda liefen wir– eins, zwei – die Treppe hoch hinter die Bühne. Alles war streng durchgetaktet, die Musik lief immer weiter, während wir – eins, zwei– synchron die griffbereiten Fächer vom Tisch nahmen. Doch meine Fächer waren weg. Panisch schaute ich mich um: nichts. Natürlich liefen die anderen Bluebells längst wieder zurück auf die Bühne. Ich rannte in die Gegenrichtung, durchsuchte alles wie ein blindverrücktes Huhn, statt einfach zu denken: »Jawoll, Kinder, diesmal müsst ihr das ohne mich machen.« Es hätte ja niemand gemerkt, dass ich fehlte – außer dem Captaingirl. Dann entdeckte ich endlich die Fächer, auf einem Tisch in der hintersten Ecke. Irgendjemand hatte sie weggetragen –wie in einem Slapstickfilm. Ich griff mir also die Dinger, stürmte zurück auf die Bühne und rempelte die drei Sänger zur Seite, die dort
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