Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
genau, wie man Gewichte hebt und trägt, sodass sie nicht zur Last werden. Macht man es aber falsch, bekommt man Schmerzen. Mir taten die Fächer so weh, dass ich sie nicht mehr halten konnte. »Mein Gott, Klopsch. Machs einfach wie die anderen! Wäre das möglich?«, fauchte es aus dem Lautsprecher.
Wir tanzten ein Thema mit spanischer Musik und gleich nach unserem Auftritt galoppierten Pferde auf die Bühne. Donn Arden, der berühmte Choreograf des Lido, hatte die aufwendigen Nummern schon Ende der Vierzigerjahre in Paris eingeführt. Seitdem gab es Pferde, Kamele und Elefanten, Hubschrauber und Pyramiden, Feuerwerke und Eisbahnen und natürlich die irren Kostüme und Lichteffekte. Arden feilte von Show zu Show weiter an den Bühnenbildern und Formationen, flog ständig zwischen den USA und Europa hin und her. Er war ein guter Freund von Miss Bluebell. Selbst wenn sie sich stritten – und das taten sie oft –, ging es immer nur darum, die Show zu verbessern. Gegen Ende der Probenzeit sprach Arden noch einmal akribisch das Programm mit uns durch: »Ihr tanzt eure Nummer, und bevor die Pferde kommen, verschwindet ihr.« Es existierte nur ein Bühnenabgang an der Seite. Die vielen Auf- und Abgänge, wie ich sie vom Ballett kannte, gab es dort nicht. Wer zu spät dran war, kam nicht mehr auf die Bühne oder nicht mehr herunter. Und ich war natürlich zu spät. Das Pferd raste auf mich zu, der Reiter riss am Zügel, ich wusste nicht wohin. Donn Arden fasste sich an den Kopf. »Klopsch again! Sie hats schon wieder getan. Kann mal einer dem Mädchen erklären, was das heißt – verschwinden?!« Und dann lachten sie doch wieder.
Bis zur Premiere hatten wir nur noch ein paar Tage, die Proben wurden immer straffer, ständig kam etwas Neues hinzu. Und plötzlich hieß es zum ersten Mal: »Umziehen fürs Entree, schnell, schnell!« Wir rannten in die Garderobe, die Mädchen steckten ihr Haar hoch, setzten Federkronen auf und steckten sie fest. Ich saß starr da und wusste nicht wie. Woher konnten sie das? Warum konnte ich es nicht? Ich nahm das Ding und kriegte es nicht fest, da tönte schon der Ruf: »Alle auf die Bühne!« Die Mädchen fegten raus, doch eine drehte sich auf halbem Weg um: »Klopsch, mach schon.« – »Ich kann das nicht!« Da kam sie zurück, riss mein Haar mit voller Kraft nach hinten, rammte die Krone drauf, die Nadeln rein und sagte: »Komm jetzt, ich zeigs dir später.« Sie wusste ganz genau, dass ich mir keine Fehler mehr erlauben durfte.
Das gibts nicht, dachte ich. In Hamburg hätte das keine Kollegin getan. Es wäre ihnen ganz egal gewesen, nein, sie hätten sich sogar gefreut, wenn mir etwas misslang. In Las Vegas aber hüteten sie mich wie ein Kind. Niemand nahm mir meine Fehler übel. Irgendwie hatten sie mitbekommen, dass ich früher einmal etwas richtig gemacht hatte und jetzt alles falsch. Dass ich nur etwas Hilfe brauchte, um mich wieder zu fangen. Deshalb ließen sie mich niemals allein. Alle kümmerten sich um mich. Schon wenn ich das Stardust betrat, grüßten sie mich herzlich, selbst die Solistinnen riefen mir zu: »Hi, Klopsch, gehts gut? Wenn du was brauchst, musst du’s nur sagen!«
Und so, wie sie mich trugen, so trug ich irgendwann die Fächer: mit Humor und Leichtigkeit. Ich fand hinein in die Schritte und Bewegungen, in Gruppentanz und Slang. Irgendwann ging alles wie von selbst und bei der Premiere hatte ich es drauf. Ich war so froh! Hätte mir der liebe Gott vorher gesagt, halte durch, jetzt ist zwar alles schwer, aber es wird ganz wunderbar, dann hätte ich nicht so viel Angst und Schmerzen gehabt. Und es wurde wunderbar. Die Show war ein Erfolg und selbst Louise sagte nach den sechs Wochen nur: »War was? Everything is okay. Mach einfach weiter so, ohne Fehler.«
Dieses Entgegenkommen war mein Glück. Da waren vierzig, fünfzig Menschen um mich herum, die mich hielten. Heute weiß ich, so sind die Gipsys, die fahrenden Showleute in Las Vegas. Sie kommen von überall her, ziehen nach ihrem Engagement weiter und haben deshalb keine Freunde oder Nachbarn in der Stadt. Doch wenn sie Ihresgleichen treffen, tun sie sich sofort zusammen. Jeder hilft jedem, und niemals würden sie sich ein Bein stellen. Jeder weiß, am nächsten Tag ist er womöglich selbst angewiesen auf die anderen. Dieses Gefühl von Solidarität fand ich einzigartig, und ich schätze, es ist sehr amerikanisch. In einem Land, wo Menschen auf so große Distanzen voneinander entfernt leben, helfen sie sich
Weitere Kostenlose Bücher