Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
Atombombentests. Menschen aus dem ganzen Land fuhren in die Wüste von Nevada, um zu sehen, wie die Bomben gezündet wurden. Kilometerhoch stiegen die Pilze aus Feuer und Rauch in den Himmel, Staub und Sand wirbelten auf. Und nach dem Spektakel strömten die Leute in die Stadt, um zu feiern. Die Sitten lockerten sich weiter. Im selben Jahr öffnete das Moulin Rouge, Las Vegas’ erstes Hotel, in dem Weiße und Schwarze zusammenwohnten. 1957 traten die Minsky’s Follies als erste Oben-ohne-Truppe auf und die Touristenmassen wuchsen weiter. Sie spielten, tranken und gingen in die Konzerte von Dean Martin und Frank Sinatra. Auch das legendäre Rat Pack musste zweimal am Abend auftreten – genau wie wir. Das war die Taktik der großen Veranstalter: Die Stars sollten die Besucher immer wieder in die Stadt locken. Mit den Konzerten allein wurde nicht viel verdient. Es ging um das Geld, das die Leute anschließend in den Kasinos ließen. Wenn einer dachte: Das ist ne dolle Show, aber leider schaff ich es nicht, sie zu besuchen, dann konnte er sicher sein, dass sie im nächsten Jahr noch einmal lief. Und wenn er wiederkam, sah er am Strip auf einen Blick, was alles geboten wurde. Für jeden großen Star gab es ein billboard, man konnte gar nichts verpassen.
Im Juli 1969 trat Elvis Presley zum ersten Mal im International Hotel auf, dem heutigen Las Vegas Hilton. Das Konzert war ein Riesenerfolg und brachte ihm sein Comeback, also wurde es gnadenlos fortgesetzt: fünf Jahre lang, acht Wochen im Jahr, zweimal pro Abend. Als ich in Las Vegas ankam, hatte Elvis schon bald die Nase voll. Doch wir wollten ihn natürlich unbedingt sehen. Eine der Bluebells war mit ihm liiert und besorgte uns die Karten. Nach der Show huschte sie zu ihm in die Garderobe, und als sie mit Elvis wieder herauskam, zogen wir alle zusammen los. Er hatte eine eigene Lounge in einer Bar, dort tranken und erzählten wir. Er war zauberhaft! Einfach gestrickt. Ich merkte gleich, dass er vom Land kam, auch wenn Las Vegas schon sein zweites Zuhause war. Er hatte eine sehr enge Beziehung zu seiner Mutter, die aus Deutschland stammte, und fand es toll, dass ich auch von dort kam.
Spontan Karten zu ergattern, für was auch immer, war nie ein Problem für uns. Wenn die Stars sich nicht gegenseitig einluden, gab es immer gewisse Herren, die wir ansprechen konnten. Sie bewegten sich ständig in unserer Nähe, im Hotel, in den Kasinos, in unserem Showroom, in den Bars. Sie waren leicht zu erkennen an ihren feinen Anzügen und den Gamaschen, die viele von ihnen trugen. Die Herren gehörten zur Mafia. Wenn wir ausgingen, gaben sie den Barkeepern Zeichen, und wir mussten fast nie unsere Drinks bezahlen. Als ich hörte, dass Barbra Streisands Show bald schließen würde, fragte ich einen der Typen: »Kannst du mir eine Karte besorgen?« Er fragte nur: »Eveline, can you make it on Monday? Second or third show?«, und er arrangierte es. Ganz vorn saß ich in diesem Riesending von Interconti, auf einem Platz, der mindestens fünfhundert Dollar kostete. Ich war die einzige Bluebell, die die Streisand sah, aber das war mir egal. Sie hatte eine zarte, schöne Stimme, saß auf einem hohen Hocker und sang. Ganz einfach, aber wundervoll. All diese Stars erlebt zu haben bedeutet mir unendlich viel. Vor allem wenn ich daran denke, dass es solche Kaliber heute kaum noch gibt.
Die Mafia war großzügig zu uns, und nicht nur das: Sie beschützte uns auch. Wir lebten wie in einem geschlossenen, gesicherten System. Uns fehlte nichts und niemand hätte uns angegriffen, denn eins war klar: Las Vegas war für Touristen da, für Tänzer und Schauspieler und niemand durfte ihnen schaden. Der Ruf der Stadt musste gewahrt werden. Darauf achtete die Mafia, die die Hotels betrieb, aber auch der Filmproduzent Howard Hughes, der seit den Sechzigern in der Stadt mitmischte. Von ihren Machenschaften bekamen wir kaum etwas mit, außer dass immer und überall jemand auf uns aufpasste. Wir hatten sogar einen guardian in unserem Apartmenthaus, der unablässig seine Runden drehte und jeden begrüßte. Außerdem fuhr alle zwei Minuten ein Polizeiauto vorbei. Bei einem Einbruch wäre ich einfach an die Straße gelaufen, um den nächsten Wagen anzuhalten. Und einbrechen wäre ganz einfach gewesen. Wir hatten eine dünne Tür mit Knauf, ein Dieb hätte nur einmal fest dagegendrücken müssen und schon hätte er im Flur gestanden. Doch das wagte niemand. Wir Bluebells gehörten zu den Stars. Das war ein
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