Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
mehr Fehler ich machte, desto mehr standen die Mädchen an meiner Seite. Ich war verwirrt, das hatte ich so noch nie erlebt. In Hamburg hätten sie mich verspottet, hier nahmen sie mich an die Hand. Rosemary Tall vor allem, sie wurde mir zugeteilt als meine Mentorin und führte mich ein in die Bluebell-Etikette: Nie durften wir während der Proben einfach von der Bühne laufen, nie Widerworte geben, wenn Miss Bluebell oder die Choreografen uns kritisierten. Und immer mussten wir hübsch und gepflegt aussehen, wenn wir ins Lido gingen oder von der Arbeit kamen. Mit Gästen anbandeln, Everybody’s Darling geben, das wurde nicht geduldet. Wir waren die besten Showtänzerinnen der Welt, und auch wenn wir fast nackt tanzten, hatten wir Niveau und Klasse zu repräsentieren. Rosemary erklärte mir alles mit ihrem wundervollen Charme.
Meine engste Freundin dieser Zeit wurde Reena, ein Showgirl mit zwei Kindern, ein ganz toller Mensch. Bei ihr durfte ich wohnen. »Reena Warden«, stellte sie sich vor. »Du weißt, was das bedeutet, warden ?« – »Nein.« – » Warden sind die, die im Gefängnis aufpassen, Klopsch.« Niemand nannte mich Eveline. Sie liebten meinen Nachnamen so sehr, dass sie mich allein darum mochten. »Klopsch, möchtest du einen Schluck Cola?« Sie schob mir eine Dose herüber. Ich trank sie aus. »Um Himmels willen, Klopsch! Ich meinte einen Schluck, nicht eine ganze Dose! Weißt du nicht, was das heißt, a sip? « Sie war so süß.
Abends ging sie oft noch aus, politics nannte sie das. Ich schätze, dass sie dann ein zweites Leben führte, fernab von unserer unschuldigen Mädchenwelt. Doch es hat mich nie interessiert, wen sie traf und was sie machte. Sie war ehrlich, sie war belesen und sie brachte mir Englisch bei, Wort für Wort. Wann immer ich etwas aufschnappte, durfte ich sie fragen: »What means ›intruding‹?« Und sie erklärte es mir stets am Beispiel. »You intrude my house«, sagte Reena. »Intrude means: You break in. Look it up, what it means.« – »Einbrechen.« Das erste Buch, das ich in Las Vegas kaufte, war ein Wörterbuch, mein dictionary , das ich heute noch besitze. Ich notierte jede neue Vokabel und schlug sie darin nach.
Reena lebte in einem Haus mit Swimmingpool, wie alle, die sich auf Dauer in Las Vegas niederließen. Und sie hatte ein Auto und nahm mich mit zum Stardust-Hotel. Ich selbst besaß noch nicht einmal einen Führerschein. In den USA war das schon damals eine Ungeheuerlichkeit. Keine license , kein Wagen? Die Amerikaner schauten mich an wie eine Außerirdische und dann nahmen sie mich überallhin mit. Wir waren eine eingeschworene Truppe, und ich, der Fremdkörper, war mittendrin und fühlte mich gemocht wie nie in meinem Leben. Wir Bluebells probten gemeinsam mit den Showgirls, die die Tanznummern mit einer einfachen Choreografie eröffneten. Danach kamen wir. Und wer nicht an der Reihe war, saß im Zuschauerraum und blödelte mit den anderen herum. Wir hatten so viel Spaß, dass selbst ich in meiner Angst viel lachte. Keine Spur mehr von Schüchternheit! Umgeben von den anderen Mädchen fühlte ich mich einfach wohl.
Dann kam der Tag der Wahrheit: Kostümanprobe. O weh! Ich war längst nicht mehr dünn. Ich war mopsig, richtig kurvig, und meine Maße stimmten nicht mehr. Die ganze Korsage mussten sie auftrennen, die Strassbänder verlängern. Louise, das Captaingirl, stand in der Garderobe hinter mir und verzog keine Miene. »Komm nachher in mein Büro«, sagte sie nur. Mit zitternden Knien trat ich schließlich ein. »Du musst abnehmen«, sagte Louise. »Ich gebe dir sechs Wochen. Und außerdem: Wenn du bis dahin den Tanz nicht beherrschst, tauschen wir dich aus.« Lange Zeit hatten sie über meine Patzer gelacht, mich immer wieder mitgezogen, doch nun verloren sie die Geduld. »Klopsch, du tanzt hinter Martina«, bellte der Choreograf. – »Wer ist Martina?« – »Martina ist die in dem blauen Dress, tanz einfach hinter ihr, bis die Formation sich teilt, und dann tanzt du hinter dem Mädchen mit dem gelben Trikot.« Sie versuchten verzweifelt, mich auf Vordermann zu bringen.
Das Schlimmste für mich aber waren die Fächer. Schwere Dinger aus Straußenfedern mit fast einem Meter Durchmesser. Sie hätten mich fast das Leben gekostet. In jeder Hand einen, tanzten wir schon bei den Proben damit, doch ich konnte sie einfach nicht tragen. Die Schraube, die das Gestänge zusammenhielt, schnitt mir in die Hand, es tat entsetzlich weh. Heute weiß ich ganz
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