Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Titel: Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eveline Hall , Hiltud Bontrup , Kirsten Gleinig
Vom Netzwerk:
gerade ihr Solo sangen: »Hey, Baby, just wait for a while …« Ich rannte weiter, zu den Bluebells nach vorn an die Rampe– und als ich mich endlich eingereiht hatte, gingen wir auch schon wieder ab.
    Meine Kolleginnen kriegten sich vor Lachen kaum ein, als ich nach der Show erzählte, was passiert war. Aber ich wusste, dass es noch Ärger geben würde. Und richtig: Das Captaingirl brüllte schon von Weitem: »Klopsch!« Jetzt würde sie mich doch noch rauswerfen. »Klopsch!«, da stand sie vor mir in ihrem roten Anzug: »Das ist ja wohl das Komischste, was ich jemals gesehen habe! Ich dachte, da kommt eine einsame Schneeflocke die Treppe runtergesegelt. Ich konnte mich fast nicht mehr halten.« Dann ging sie wieder. Doch im Türrahmen drehte sie sich noch einmal um: »But never again.« Das war alles. Keine Szene, keine Strafe. Nur: Mach das nie wieder. Louise besaß eine unglaubliche Autorität, sie war zum Captaingirl geboren. Ein männlicher Typ mit viel Herz und Humor. Sie wusste genau, wie mir zumute war, wie kopflos ich reagiert hatte. Ich wollte ja keinen Alleingang hinlegen, als hätte ich nur auf die Chance gewartet, mich irgendwie hervorzutun. Ich irrte hilfesuchend über die Bühne. Jahrelang war ich schon aufgetreten und nun baute ich so einen Mist. Louise hat mir verziehen, wie alles andere auch. Es war mein letztes großes Missgeschick im Lido.
    Mit der Zeit bekam selbst ich Routine und irgendwann merkte ich: Das könnte ich auch im Schlaf tanzen! Nicht eine Schweißperle hab ich mehr geopfert. Heute frage ich mich: Warum, bitte, hab ich mich nur so aufgeregt? Es war doch alles einfach. Wenn ich bedenke, was ich an der Staatsoper geleistet hatte. Ich konnte große Solopartien tanzen, mit zweiunddreißig Fouettés und zwei doppelte am Schluss, und nun scheiterte ich an diesem Gehampel – jedes Kind im Turnverein hätte das besser hinbekommen. Wie groß muss meine Angst gewesen sein! Wie stark der Sog, der mich gepackt hatte. Ich hatte nicht vor Anstrengung geschwitzt, sondern aus blanker Panik. Wie jeder Mensch, der unter Druck steht und nicht kann, was man von ihm verlangt.
    Doch ohne diese Panik wäre die Geschichte nur halb so interessant. Ich habe viel daraus gelernt: Wie ich mein ganzes Können und mein Selbstvertrauen verliere, wenn das Metier nicht stimmt. Der Wechsel vom Ballett ans Lido war eine Hundertachtzig-Grad-Wendung. Ich war so klassisch als Tänzerin, klassischer als alle anderen. Ich wollte mir beweisen, dass ich imstande war, aufzubrechen und etwas anderes zu machen. Doch klassisch hieß auch verbissen. Ich war so verbissen, dass ich mich gar nicht einlassen konnte auf lockereres Arbeiten. Schwer fiel mir leicht und leicht war unendlich schwer. Hätte ich nur auf meinen Vater hören können, der zum Abschied gesagt hatte: »Mach dir ne Freude, denn überanstrengste dich nich.« Die Freude, die Leichtigkeit musste ich erst lernen. Und als ich das begriffen hatte, war ich schon zufrieden. Mir reichte das. Ich dachte nicht dran, auch hier Solistin zu werden. Dazu war ich nicht gut genug, und alle Anstrengung hätte nichts genützt. Die Solotänzerinnen waren hervorragend, sie stammten aus berühmten Kompanien und hatten in jeder Nummer ihre eigene Choreografie. Ich bewunderte sie sehr, aber ich eiferte ihnen nicht nach.
    Drei Jahre tanzten wir die Show. Kein Choreograf schaute mehr danach, ob sich noch etwas verbessern ließe. Nur alle sechs Wochen probten wir einmal, damit sich keine Fehler einschlichen. Was den Tanz angeht, habe ich nicht viel gelernt, doch was ich mitnahm, war der Witz meiner Kolleginnen, der Respekt vor Menschen, selbst vor solchen, die sich schwertun. Das ist für mich die Essenz von Las Vegas. Wäre ich nach Paris gegangen – wo es so viel Kultur und Drumherum gab –, ich wäre diesem Showsystem nicht derart ausgeliefert gewesen. So aber sprang ich ins kalte Wasser und musste lernen. Durfte lernen! Ich hasse es, etwas zu tun, aus dem ich nichts ziehen kann. Hier brachten sie mir bei, offen zu sein, menschlich zu sein, zusammenzuhalten.
    Und ganz banale Dinge, die ich natürlich auch nicht konnte – Haare färben zum Beispiel. Ich hatte vorgetanzt in Blond, jetzt musste ich bei der Farbe bleiben. Doch in den USA funktionierte es ganz anders als das, was ich zu Hause fabrizierte. Hier musste ich in ein Geschäft gehen und alle Mittel einzeln kaufen. Ich, die ich keine Ahnung hatte von nichts! Da sagte die erstbeste Kollegin zu mir: »Ich hol dich morgen ab,

Weitere Kostenlose Bücher