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Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Titel: Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eveline Hall , Hiltud Bontrup , Kirsten Gleinig
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konnte ich immer noch gehen.
    Serge hatte von einer Wohnung am Montmartre gehört, die ab sofort frei war. Dort wollte er mit mir einziehen. Seine Eltern boten an, uns am Anfang zu unterstützen, außerdem hatte er einen Job in Aussicht. Allerdings mussten wir uns sofort entscheiden. Wir unterschrieben beide den Vertrag und waren innerhalb weniger Stunden Mieter einer süßen Wohnung in der Rue Marcadet auf der nördlichen Seite des Montmartre. Sie lag im sechsten Stock und war zwar ein Schmuckstück, aber in erbärmlichem Zustand: ein völlig verranzter Teppichboden, fleckige Wände, zerkratzte Türen, dazu war es dreckig. Wie sollten wir hier leben? »Serge, so kann ich nicht wohnen«, sagte ich. »Das muss alles raus!« Also starteten wir eine große Entrümpelungs- und Renovierungsaktion. Meine Eltern, die das toll fanden, spendierten uns den Fußboden. Wir kauften Farbe und Pinsel und strichen die Wände, etwas, was ich noch nie in meinem Leben gemacht hatte. Ich hatte mich an keinem Ort wirklich eingerichtet und mir ein richtiges Zuhause erschaffen. Das tat ich nun mit Serge. Wir bauten uns ein Nest, rückten ganz eng zusammen, auch innerlich. Aber die Arbeit blieb bald an mir hängen, weil Serge anfing, bei einer Firma zu arbeiten, die Etiketten und Preisschilder in ganz Frankreich vertrieb. Zuerst hatte ich überhaupt keine Lust. Ich war schließlich nach Paris gekommen, um meine Freiheit zu genießen und nebenbei die Sprache zu lernen. Und was bekam ich stattdessen? Einen Pinsel in die Hand! Doch bald machte es mir einen Riesenspaß, die alten verzierten Heizkörper wieder frisch und weiß zu streichen, den Stuck an der Decke auszubessern, mit wenigen Mitteln etwas zu gestalten. Ich sah sofort das Ergebnis, das fand ich wahnsinnig befriedigend. Je mehr ich schaffte, umso ehrgeiziger wurde ich. Mein Perfektionismus kam wieder durch, die Tänzerin, die forderte, dass alles brillant wurde. Wenn ich etwas anfing, gab es keine halben Sachen. Das war meine Philosophie und sie ist es bis heute. Wenn Serge abends nach Hause kam, präsentierte ich ihm stolz das Ergebnis. Er konnte kaum glauben, was ich schon wieder verändert hatte. »Tu as vraiment bossé, hein. C’est pas possible!« Unglaublich, wie du geschuftet hast. Oft fuhr er quer durchs ganze Land, manchmal fünf- oder sechshundert Kilometer, nur um einen Kunden zu sehen. Ich fand das damals idiotisch und dachte, diese Arbeit hätte keine Zukunft. Doch später gründete er mit einem Freund eine Firma nach demselben Modell. Und wenn ich heute sehe, wie weit er es damit gebracht hat, bin ich richtig stolz auf ihn. Er war wahnsinnig fleißig – so wie ich. Da trafen wir uns. Zwei fleißige Menschen, die sich nie für irgendetwas zu schade waren. In diesem Punkt waren wir verwandt. Unser Fleiß war die Basis für alles, was wir miteinander erlebt haben. Am Anfang war mein Französisch natürlich nicht perfekt. Ich konnte längst nicht alles ausdrücken, was ich gern sagen wollte. Doch für uns war das kein Hindernis, er verstand mich auch ohne die Sprache. Und so blieb es bis zum Schluss. Serge verstand mich in allem, was ich tat.
    Als die Wohnung fertig war, wollten wir meine Sachen bei Bigi abholen. Ich fuhr voraus, um ein paar Tage in Wien zu verbringen, Serge sollte nachkommen. Wir hatten verabredet, dass er anruft, wenn er sich der Stadt nähert. Allein hätte er nie den Weg durch die kleinen Gassen gefunden, eine Beschreibung hätte auch nicht viel genützt, deshalb wollten wir ihn außerhalb treffen und ans Ziel lotsen. Wir warteten den ganzen Tag, doch Serge rief nicht an, er ließ nichts von sich hören. »Irgendetwas muss passiert sein«, sagte ich zu Bigi, »mein Serge ist der beste Autofahrer, der fährt Auto wie im Traum.« Am nächsten Morgen war ich so in Sorge, dass ich alle Krankenhäuser der Stadt abtelefonierte, um zu hören, ob jemand verunglückt sei. Nirgends war er eingeliefert worden. Schließlich wählte ich unsere Nummer in Paris, obwohl ich nichts unsinniger fand als das. Tatsächlich nahm Serge den Hörer ab. Kaum meldete er sich, schrie ich ihn an: »Sag mal, Serge, was fällt dir ein?! Wo bleibst du denn, wir warten seit gestern auf dich!« Mit müder Stimme gab er zurück: »Aber, Püppi, ich war doch schon in Wien. Du hast mir eine falsche Nummer gegeben, da bin ich wieder zurückgefahren. Ich komme gerade an.« Mehr als zweitausend Kilometer war er gefahren, für nichts und wieder nichts, nur weil ich die Zahlen verdreht hatte.

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