Ich Stell Mein Herz Auf Sommerzeit
seinerzeit die gemütliche gemeinsame Essensstunde einführte, versammelten sich alle Familienmitglieder, saßen beieinander, scherzten und erzählten sich, was sie den Tag über getan hatten. Ich weiß, daß es so gedacht war: Ich habe es nämlich einmal im Fernsehen gesehen.
Ich selbst habe noch keine Familienmahlzeit erlebt, die sich nicht von weitem angehört hätte, als träte ein Lynchgericht zusammen. Unweigerlich kam zur Sprache, was wer wem angetan hatte, wer damit angefangen hatte und wer danach, wenn er seine Strafe absaß, ein Zimmer für sich bekam.
Kritiker des gemeinsamen Abendessens sagen von jedem zweiten Thema, es sei ›für eine Diskussion bei Tisch ungeeignet‹. Ja, weiß denn überhaupt jemand, was sich da eignen könnte? Es gibt ja so wenig, woran sich die ganze Familie beteiligen kann.
Kinder reden gern von Dingen, die einem die Freude am Essen – und manchmal am Leben überhaupt – austreiben können. Bei einer einzigen Mahlzeit hörte ich:
– eine genaue Beschreibung der Unterseite einer Zunge,
– das Gerücht, welches beliebte Tiefkühlgericht Rattenfleisch enthielt,
– woran Erbspüree erinnert, wenn man es von weitem sieht,
– wie der Hund verdaut, wenn er vorher Hühnerreste gefressen hat.
Männer sprechen lieber über Geld. Binnen weniger Minuten können sie einen dahin bringen, daß man sich nicht mehr traut, ein zweites Mal Salz zu nehmen. Außerdem benutzen sie die Gelegenheit, bei der alle versammelt sind, gerne dazu, eine ihrer berühmten Mahnreden vom Stapel zu lassen, etwa nach dem Motto: »Wenn ihr immer alle Türen auflaßt, heizen wir im Winter den Garten.« – »Das L auf der Benzinuhr bezeichnet ein Eigenschaftswort, nämlich ›leer‹ nicht den Imperativ: ›Leerfahren!‹« oder »Wenn ihr weiter so mit dem Wagen umgeht, werde ich mir für die Fahrt ins Armenhaus ein Taxi nehmen müssen.«
Mütter benutzen gemeinsame Mahlzeiten, um das Fußabstreifer-Thema zu variieren. »Ihr benutzt mich ja sowieso nur als Fußabstreifer. Legt mir doch gleich einen Schlüssel unter die Zunge und stellt euch auf mich drauf!« Und sie erinnern ihre Kinder daran, daß noch aus niemandem etwas geworden ist, der sein schlampig gemachtes Bett mit dem Kleiderbügel glattstrich.
Ungefährliche Themen für die gemeinsame Mahlzeit gibt es meiner Meinung nach überhaupt nicht. Egal, wovon die Rede ist, jedes Familienmitglied wird nach Rollenfach reagieren. Neulich hatten wir einen Gast zum Abendessen. Er sagte: »Ich habe gelesen, daß der Schneckenvogel immer noch auf der Liste der bedrohten Arten steht.«
Sekundenlange Stille.
Dann sagte eines der Kinder: »Sind das nicht die, die durchs Auge bluten, wenn sie sterben?«
Darauf mein Mann: »Wenn die erst 20 Dollar das Pfund kosten, werden die Kinder, wie ich sie kenne, akute Schneckenvogelmangelerscheinungen entwickeln.«
Und ich schließlich: »Es ist nicht die einzige gefährdete Gattung. Frauen, die hinter ihren Teenagern herräumen müssen, werden auch bald dazugehören.«
Die Familie, die gemeinsam ißt, sollte es vielleicht doch lieber bleiben lassen.
Bildschirmerkältungen
Ha-ah-tschii!
Wo ich mir diesen Schnupfen geholt habe? Dumme Frage! Vor dem Fernseher natürlich.
Abend für Abend habe ich vor dem Bildschirm gesessen, und aus der Röhre glotzten mich immer wieder neue Schnupfenopfer an. Sie blinzelten aus geröteten Augen (die durch Gebrauch gewisser Augentropfen schon sehr viel besser waren); die Nasen liefen (sie konnten durch ein weiteres Wundermittel schon wieder viel freier atmen). Sie hatten Fieberblasen an der Lippe (irgendein neues Aspirin mit besonderen Wirkstoffen war eben dabei, sie zu kurieren) und einen fürchterlichen Husten. Noch heute wird mir elend, wenn ich nur daran denke.
Eine Weile fühlte ich mich bei alledem ganz wohl. Aber eines Abends versuchte eine große, schlanke Blonde in einer Werbeeinschaltung durch die verstopfte Nase einen Luftballon aufzublasen, und da fragte mein Mann mich plötzlich: »Kannst du das auch?«
»Warum soll ich einen Luftballon durch die Nase aufpusten?«
»Das meine ich ja nicht. Mir war nur so, als hättest du seit ein paar Tagen eine verstopfte Nase.«
Beim nächsten Werbespot sagte eine in Decken gehüllte Frau (sie sah aus, als huste sie uns gleich letzte Grüße aus Davos): »Meine Anti-Erkältungs-Tablette hat acht Stunden lang gewirkt, – und nicht nur zwei.«
Da sagte ich laut zu ihr: »Wie du aussiehst, armes Mädchen, wird die nächste
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