Ich Stell Mein Herz Auf Sommerzeit
stark ab. Er wird Ihnen von dem Kolibri erzählen, den er aus dem Augenwinkel erblickte, von dem Sonnenuntergang über dem Kreml, der aussah wie Hammer und Sichel, von dem dramatischen Bild der Männer auf den Osterinseln, die landeinwärts blickten.
Er erzählt nicht, daß das Stativ während der ganzen Zeit im Koffer im Hotelzimmer ruhte.
Dieses Mal haben wir das Stativ nicht mitgenommen. Ich stellte ihm ein Ultimatum: das Ding oder ich. Er überlegte eine Woche lang, dann ließ er es zu Hause.
Der Fremdenführer an der Christusstatue in Rio sagte: »Als seriöse Fotografen haben Sie ja sicher alle ein Stativ dabei.«
Ich wußte, was ich zu tun hatte: auf alle viere fallen lassen, Kamera auf dem Kopf balancieren und regungslos bleiben, bis der Auslöser klickte.
Fahrstuhlgeflüster
In einem Land, das die raffiniertesten Formen der Kommunikation entwickelt hat, wirkt es wie Ironie, daß Leute, die sich im Fahrstuhl begegnen, noch immer so wenig zu sagen wissen.
Zugegeben, es ist nicht einfach. Das Thema muß prägnant, allgemeingültig, gegenüber Unterbrechungen unempfindlich sein und jedermann fesseln. Auch ist die Zuhörerschaft von besonderer Art: Alle schauen in die gleiche Richtung und starren gebannt auf rote Lämpchen, die aufleuchten und erlöschen. Es herrscht also eine ganz andere Stimmung als auf einer ausgelassenen Sylvesterparty.
In den meisten Liftkabinen herrscht die Atmosphäre eines klinischen Aufwachraums: Sie sind sterile Zellen des Schweigens, in denen man (wenn überhaupt) nur im Flüsterton spricht und schon auffällt, wenn man sich nur räuspert.
Um der Sache etwas von ihrer Peinlichkeit zu nehmen, hat man in modernen Anlagen vor einigen Jahren Musikberieselung eingeführt. Aber glauben Sie, daß jemand tanzt? Oder summt? Oder mitsingt? Keine Spur. Alle stehen immer noch da wie Gefangene, die auf ihre Entlassung warten.
Mit der Zeit wird sich der ›Liftplauderer‹ durchsetzen, es gibt bereits die ersten Pioniere. Ein Mann versuchte es neulich mit einer Art Interview-Methode. Er betrat den Aufzug, am Revers eine Anstecknadel mit der Parole ›Der Gast ist König‹, und fragte sofort: »Finden Sie auch, daß die Zuschläge für Einzelzimmer abgeschafft werden sollten?«
Auch die Geheimnis-Masche wird immer mehr Mode. Neulich wandte sich eine Frau unmittelbar vor dem Aussteigen an ihre Bekannte und fragte: »Ach, Sie meinen, daß man bei mir nur für eine Nacht buchen kann?«
(Ich war Augenzeuge, wie daraufhin alle ausstiegen und ihr nachgingen.)
Was die anderen Fahrgäste unweigerlich die Ohren spitzen läßt, ist die ›tolle Schlankheitskur‹. Mann oder Frau verkünden: »Und dabei habe ich alles gegessen, alles getrunken und mich nicht aus dem Sessel gerührt. Und in vier Tagen dreißig Pfund abgenommen. Ich weiß, ich sehe toll aus. Mich haben schon drei alte Bekannte gefragt, ob ich krank bin.«
Andere Fahrstuhl-Nummern sind noch im Experimentierstadium. Etwa der Trick, bei dem man laut äußert, man wisse, wo das Benzin noch immer zum Vorjahrespreis zu haben ist. Oder der politische Geheimtip. Dabei flüstert man – eben laut genug, um verstanden zu werden –, man habe gehört, die Vereinigten Staaten würden von einer Kanadischen Immobiliengesellschaft zum Bau von Eigentumswohnungen aufgekauft.
Ich beherrsche die Aufzugssprache nicht besonders gut. Mir genügt es, wenn ich ein- und aussteigen kann, ohne daß mir unterwegs der Magen knurrt oder mich der Schluckauf überfällt. Nicht daß ich mich nicht ehrlich bemühte. Erst neulich fuhr ich aus dem 28. Stock ins Parterre hinunter. Wir waren zu zweit im Lift. Sogleich wandte ich mich an den Herrn und fragte: »Kommen Sie öfters hierher?«
Daraufhin stieg er im 27. Stock aus.
17. Das Haus, von dem wir träumen
Für die in Stein gehauenen Berühmtheiten am Mount Rushmore habe ich ein weiteres Gesicht vorzuschlagen. Und zwar das einer Frau. Sie heißt Frances Gabe, ist 67 Jahre alt, stammt aus Oregon und hat 1981 die klassische Frage gestellt: »Warum um Himmels willen müssen eigentlich Frauen ihr halbes Leben damit vergeuden, ihr Haus sauberzuhalten?«
Diese Legendengestalt ließ ihren Worten die Tat folgen: Sie erfand das Haus, das sich selbst reinigt, das ›Traumhaus‹, von dem viel die Rede ist, das aber noch keiner je erschaffen hat. Miss Gabe hat für ihr Selbstreinigungshaus 68 Patente angemeldet. Ihre Fußböden, Türen, Wände, Decken sind mit Harzlack überzogen, die Diele nach den Ecken zu
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