Ich Stell Mein Herz Auf Sommerzeit
winziges Loch.«
Estelle sah das Kind eine volle Minute schweigend an und sagte dann: »Na und wenn schon.«
Seitdem gehört sie zu uns.
16. Schnappschüsse
Ich gehöre zu dem runden Dutzend Menschen in diesem Land, die keinen Fotoapparat besitzen.
Anno 1971, in dem Jahr, in dem unsere Tochter Abitur machte, habe ich ernstlich erwogen, mir einen anzuschaffen. Innerhalb der Viertelstunde, in der ich mir einen ausgesucht und meinen Mann herbeigeholt hatte, um ihn zu begutachten, war er bereits überholt. Seitdem ist alle fünfzehn Minuten eine Kamera aus der Mode gekommen.
In all diesen Jahren habe ich noch nie einen Amateurfotografen zum anderen sagen hören: »Komm, gib mir mal deinen Apparat, dann nehm ich dich auf. Ich weiß, wie der funktioniert. Ich hab den gleichen.«
Hierfür gibt es einen guten Grund.
Merke: Kein anderer Mensch auf der Welt hat eine Kamera wie die deine.
Ich habe Berufsfotografen erlebt, die eine fremde Kamera prüften, genaue Anweisungen von ihrem Besitzer bekamen und dann eine Aufnahme machten, bei der sie den Finger voll auf dem Objektiv hatten. Peinlich berührt sagte ein solcher Typ dann: »Ach so, ja, du hast den Apparat, der drei Wochen nach dem meinen herauskam; da liegt der Sucher woanders.«
Unschwer findet man heraus, ob der offizielle Fotograf der Familie der Ehemann oder die Ehefrau ist.
Wir besitzen achtzehn Schuhschachteln voller Dias. Sie könnten einer Witwe gehören. Es ist kein einziges Bild meines Mannes dabei. Immer nur die Kinder und ich, die ihm zuwinken: vor der Berghütte, vorn am Ende des Landungsstegs oder aus der Gondel auf dem Rummelplatz.
Einst, im Jahre 1978, habe ich mich erboten, ihn aufzunehmen. Er willigte ein und fing an, mir den Gebrauch der Kamera zu erklären. Es gab da einen Filter auszuwechseln, einen Lichtmesser zu beachten, Zeit und Entfernung zu schätzen und zum Schluß natürlich auch die Brennweite zu bestimmen. Als ich das alles zu seiner Zufriedenheit konnte, war nicht nur das Licht weg, sondern auch unsere neunundzwanzigjährige Ehe schwer gefährdet.
Unsere erste und letzte selbstaufgenommene Weihnachtskarte machten wir vor drei Jahren. Ich zog den Jungen saubere Hemden an und fuhr ihnen mit dem Kamm durchs Haar, gab meiner Tochter einen Blanko-Scheck, damit sie zu Hause blieb und entfernte die Hundehaare vom weißen Sofa. Mein Mann brauchte etwa anderthalb Stunden, um den Apparat so aufzustellen, daß er mit auf dieses Gruppenbild kam.
Auf dem Bild sitzen vier Leute mit zusammengebissenen Zähnen und verkrampftem Grinsen. Acht Augen sind auf einen verwischten Fleck im linken Vordergrund gerichtet.
Meine Mutter sagte: »Soll das Bill sein? Von Eurer Hochzeit her habe ich ihn viel größer in Erinnerung!«
Amateurfotografen
Vielleicht glauben einige von Ihnen, Fotos wüchsen auf Postkarten. All denen sei hiermit erklärt, daß ein Dreibeinstativ ein Gestell ist, auf das man die Kamera montiert, damit sie nicht wackeln kann.
So ein Dreibeinstativ reicht einem, voll ausgezogen, mindestens bis zur Taille und wiegt fünf bis sechs Pfund. Jedes Jahr verlassen fünf Millionen Amateurfotografen ihr Heim und gehen ohne dieses Gestell auf Reisen.
Mein Mann gehört nicht zu ihnen. Seit acht Jahren schleppt er das Stativ in jeden Urlaub mit. Benutzt hat er es noch nie. Wozu also das Ganze, fragen Sie mit Recht. Das kann ich Ihnen sagen. Es zerdrückt meine Kleider, so daß bei jedem Dinner, ganz egal, was ich anhabe, jemand die Dauerfalten erkennt und sagt: »Ach, ich sehe, Sie besitzen ein Stativ!«
Bei jeder Sicherheitskontrolle auf dem Flugplatz klingelt, brummt und hupt es am Bildschirm. Ich frage mich, wann zum Beispiel Großbritannien zuletzt von Dreibeinern angegriffen wurde.
Das Ding verschafft jungen Taxichauffeuren und Liftboys ihren ersten Leistenbruch. Einmal, als alle Handtuchstangen besetzt waren, habe ich es dazu benutzt, um ein paar Socken zu trocknen.
Ich weiß, ich hätte nie einen Amateurfotografen heiraten dürfen. Aber wenn man 35 ist, und es tut sich nichts, bekommt man die Panik. Mein Leben besteht seitdem aus »Halt mal dieses Objektiv«, »Moment, ich verliere meinen Belichtungsmesser« und »Soso, der Bus ist ohne uns abgefahren!«
Wie gut haben es doch Frauen, deren Ehemänner den Grand Canyon aus dem fahrenden Wagen heraus mit einer Instamatik durch die Windschutzscheibe fotografieren. Sie sind wahrhaft glücklich zu preisen.
Die Aussagen meines Mannes über sein Stativ weichen von den meinen
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