Ich träume deutsch
konnte, war er so begeistert, dass er einen Handstand machte. Irgendwann müssen Yalcin und ich eingeschlafen sein.
|98| „Hey, wacht auf!“, rief Mine. „Wirst du Yalcin später heiraten?“, fragte sie und wackelte mit den Hüften. Mine war manchmal richtig dumm.
Yalcin hatte immer gute Ideen. Er konnte sogar aus Zeitungspapier und Plastiktüten einen Ball basteln, und er wusste wie man Amseln fangen konnte. Davon war auch meine Babaanne ganz begeistert, weil wir nun viel öfter Fleisch zu essen hatten. In der Küche gab es ein Fenster, das man nach oben klappen konnte. Yalcin befestigte eine Schnur an dem Fenstergriff und ließ das Fenster offen. Auf das Fensterbrett innen streuten wir Brotkrümel und sobald die Amseln die Brotkrümel aufpickten, zog Yalcin an der Schnur und das Fenster klappte zu. Die Amseln waren gefangen und schwirrten benommen in der Küche umher. Babaanne schlug sie dann mit dem Besen runter. Zuerst überbrühte sie die Vögel mit heißem Wasser, und danach durften Mine, Yalcin und ich die Federn ausrupfen. Jeder durfte seine Amsel selbst auf dem Feuer grillen. Yalcin hatte uns richtige Grillstöcke geschnitzt, und hin und wieder durfte er mitessen.
Yalcin war der lustigste Mensch auf der ganzen Welt! Einmal hatte er sich einen schwarzen Schleier von Babaanne angezogen und war im Hof herumgelaufen wie eine Frau. Mine und ich mussten so lachen, aber als Babaanne das sah, bekam er ihren Gummischuh zu spüren. Danach versteckte sie allerdings wieder ihr Lachen.
Weil Babaanne glaubte, dass Yalcin Läuse hätte, durfte er nur ins Haus kommen, wenn er die Amseln jagte. Aber Yalcin hatte bestimmt keine Läuse, weil er doch so lieb war.
Yalcin war mein bester Freund! Wir saßen oft vor der Scheune. Ich erzählte ihm von meiner Anne, von Deutschland und von meinen Freunden. Yalcin hörte mir ganz aufmerksam |99| zu, und manchmal gefiel es ihm so gut, dass er wieder anfing zu tanzen.
„Zum Glück hat Yalcin keine Zunge, aber bei dir kommt ja einer mit Zunge auch nicht zu Wort“, sagte Babaanne immer.
Eines Tages mussten wir beide weinen, weil ich von meiner Anne erzählt hatte und Yalcin seine Anne auch sehr vermisste. Er zeigte mir, wie seine Anne ihn auf ihren Beinen hin und her in den Schlaf geschaukelt und wie sie ihm den Rücken gestreichelt hatte. Dann zeigte er mir, wie sein Stiefvater ihn geschlagen hatte und wie böse er immer auf Yalcin gewesen war. Wir hatten den leeren Kartoffelsack von Babaanne mit Zeitungspapier gefüllt und das war der Stiefvater von Yalcin. Ich nahm den Besen in die Hand und schlug seinem Stiefvater auf den Kopf. Yalcin traute sich zuerst nicht und versteckte sich bei den Hühnern, wenn ich seinem Stiefvater auf den Kopf schlug. Aber dann wurde er so mutig, dass er diesem bösen Mann mit den Füßen in den Bauch trat.
Wir spuckten ihm ins Gesicht, und dann rannten wir ganz schnell weg und versteckten uns in der Scheune. Das war Yalcins Lieblingsspiel.
„Gehen eure Ziegen mit euch durch? Was macht ihr mit dem Kartoffelsack?“, fragte Babaanne. Als ich ihr erklärte, dass es kein Kartoffelsack war, sondern der Stiefvater von Yalcin, schlug sie ihm mit der Faust auf den Kopf und spuckte ihm auch ins Gesicht. Begeistert küsste Yalcin Babaannes Hand, und wir tanzten und hüpften vor Freude im Hof herum.
„Jetzt gehen doch wieder eure Ziegen mit euch durch“, sagte Babaanne und schüttelte den Kopf.
Manchmal saßen mein Freund und ich aber auch nur da und sahen uns einfach ganz lange an.
|100| Wenn Yalcin abends nach Hause gehen musste, wurde er sehr traurig. Er saß dann oft noch lange vor unserem Tor, bis es dunkel wurde.
„Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, diesen Jungen zu verheiraten“, sagte Babaanne und sah aus dem Fenster. „Allahım, schick diesem armen Kerl ein Weib oder etwas mehr Hirn.“ Dabei sah sie hoch zu Allah und seufzte ganz laut.
„Ich würde Yalcin gleich heiraten!“, sagte ich und hüpfte aus dem Bett.
Zum ersten Mal sahen wir, wie meine Babaanne ganz laut und lange lachte, ohne sich hinter ihren Händen zu verstecken. Mine lachte mich auch aus, und ich wurde ganz rot im Gesicht, so sehr schämte ich mich. Lustig fand ich das eigentlich überhaupt nicht. Yalcin hätte ich wirklich geheiratet! Er war gar nicht so hässlich, wie ich am Anfang gedacht hatte, und mit Yalcin hätte ich doch jeden Tag spielen können. Er ging nie ins Café und er trank auch keinen Raki. Und wenn wir verheiratet wären, müsste er abends
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