Ich träume deutsch
nicht nach Hause gehen.
„Schscht, geht ins Bett. Schlaft jetzt. Großer Allah, hoffentlich muss ich nicht weinen, weil ich so viel gelacht habe“, sagte sie und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Aber diesmal waren es Freudentränen.
„Gute Nacht, Kinder.“
„Gute Nacht, Babaanne.“
Babaanne musste noch immer lachen.
Ich war so froh, endlich einen Freund zu haben. Vielleicht dürfte ich ihn sogar heiraten, aber das wollte ich erst machen, wenn meine Anne bei uns war.
Yalcin kam ganz oft zu uns auf den Hof, um mit uns zu spielen. Mine gefielen unsere Spiele manchmal nicht, aber wenn es ihr langweilig war, spielte sie auch mit.
|101| Ich wollte meine Anne unbedingt fragen,ob wir Yalcin mit nach Deutschland nehmen durften. Dann müsste ich nicht mehr alleine sein, und meine Anne könnte ganz unbesorgt arbeiten.
„Yalcin, warst du eigentlich schon mal in Deutschland? Da ist es so schön! Die meisten deutschen Menschen haben Augen, so blau wie das Marmarameer. Sie haben blonde Haare und eine ganz weiße Hautfarbe. In Deutschland ist es sauber auf den Straßen, da liegt nicht so viel Müll herum wie hier, und da laufen auch keine Tiere frei herum. Ich habe ganz viele deutsche Freunde“, erzählte ich meinem Freund, der vor Freude in die Hände klatschte.
Ich erzählte ihm von dem netten Metzger, der mir immer die Schweinewurst gab, die ich ja nie essen durfte, von Helene und von Paola und Giuseppe. Yalcin grunzte wie ein Schwein und machte eine Steckdosennase. Das machte Yalcin immer, wenn ich von Deutschland erzählte. In Alaca dachten die Leute nämlich, dass die Deutschen aussähen wie Schweine, weil sie Schweinefleisch aßen.
„Yalcin, würdest du mit uns nach Deutschland kommen?“
Yalcin nickte, stand auf und fing wieder an zu tanzen.
„Yalcin, wie alt bist du eigentlich?“
Er zeigte seine zehn Finger zweimal und ich zählte nach.
„Du bist zwanzig Jahre alt? Dann muss ich ja Amca zu dir sagen.“
Yalcin schüttelte den Kopf, nahm meine Hand und drückte mir einen Kuss darauf.
„Darf ich deine Zunge mal sehen?“
Yalcin öffnete seinen Mund und er hatte tatsächlich keine Zunge. Es war nur ein Klumpen zu sehen. Ich drückte ihn ganz fest und streichelte seine Haare, so wie es meine Anne immer mit mir gemacht hatte. Dann schlug ich wieder auf |102| seinen Üveybaba ein und spuckte ihm ins Gesicht, wie meine Babaanne das auch getan hatte.
Manchmal jagte Babaanne meinen Freund einfach weg, weil sie Angst hatte, dass wir Yalcin eines Tages nicht mehr loswürden, und sie wollte nicht, dass er sich an uns gewöhnte. Schließlich würde uns Anne bald abholen kommen, und dann wäre Yalcin wieder einsam. Babaanne konnte natürlich nicht wissen, dass ich meinen Freund mitnehmen wollte.
Bald kann noch so lange sein
Wir waren schon sehr lange in Alaca, und Annem hatte uns erst drei Briefe geschickt.
Sie schrieb, dass sie bald kommen würde, aber „bald“ kam nie.
Babaanne hatte meine Schwester noch nicht mal in der Schule angemeldet, und es gab auch keine Bücher, die Ablam lesen konnte.
„Babaanne, vielleicht sollte ich doch in die Schule gehen. Wir sind schon acht Monate hier, und wenn Anne erfährt, dass ich noch gar nicht in der Schule war, wird sie sicher ganz böse“, schlug Mine vorsichtig vor.
„Die Lebensschule ist wichtiger!“, antwortete Babaanne und drückte Ablam die Schüssel mit Linsen zum Waschen in die Hand.
Babaanne saß am Fenster, schnitt die Köpfe der Okraschoten ab und summte vor sich hin.
„Schon wieder Bamya? Die sind doch immer so schleimig!“
|103| „Ihr seid schon richtig verwöhnte ‚Alamankinder‘“, sagte Babaanne und warf Mine einen bösen Blick zu. Ablam verdrehte wie immer die Augen und zeigte Babaanne heimlich einen Vogel.
„Babaanne, es sind schon acht Monate vergangen, seit wir hier sind, und Anne hat uns immer noch nicht abgeholt. Sie hatte doch in den letzten Briefen immer geschrieben, dass sie bald kommen würde. Vielleicht ist ihr etwas zugestoßen? Vielleicht ist das Flugzeug abgestürzt? Sie hat auch schon so lange keinen Brief mehr geschickt.“
Als Ablam das sagte, wurde ich ganz traurig und fing an zu weinen und setzte mich auf Babaannes Schoß.
„Babaanne, wann ist bald?“
Babaannem erzählte uns, als sie so alt war wie wir, hätten sie und ihre Geschwister ein Mal im Jahr an Ramadan Bayrami ein neues Kleid und Gummischuhe bekommen. Ein paar Tage nach dem Fest fragten sie ihre Anne, wann wieder Bayram wäre und wann
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