Ich uebe das Sterben
freuen sich sehr, dass ich dieses Jahr auch auf die Strecke gehe.
Zwar haben auch die Rettungssanitäter und begleitenden Ärzte Bedenken, mich beim Rennen starten zu lassen, aber Harald und ich versprechen, auf Herzfrequenz, Trinken, Ernährung und so weiter zu achten und bei jeder Auffälligkeit das Rennen zu beenden.
Zudem sind die Rettungssanitäter Nico und Lutz auf dem Mountainbike täglich auf der Strecke unterwegs und die Ärzte vom Rescue Team mit dem Auto oder dem Motorrad vor Ort. Ich kenne sie alle, und sie kennen mich aus den letzten Jahren, in denen ich Harald zum Transalpine-Run begleitet habe. Es ist ein gegenseitiges Vertrauen, das dieses Unternehmen auch für mich möglich und sicher macht.
Uta und Heini würden mir nie verweigern, an den Start zu gehen. Sie wissen, dass ich selbst am besten abschätzen kann, wie es mir geht.
Ich verdanke den beiden und dem Rescue Team unendlich viel, denn es ist nicht selbstverständlich, dass ich zu einer solchen sportlichen Großveranstaltung zugelassen werde. Hätten andere Menschen hinter diesem Event gestanden und von meiner Erkrankung gewusst, hätte ich keine Chance auf einen Startplatz gehabt.
Als Erstes erhalten Harald und ich unsere Teilnehmerausweise mit Foto, die uns freien Zutritt zur Pasta-Party gestatten und uns sichtbar als Starter des fünften Transalpine-Run kennzeichnen. Ein irres Gefühl.
Wir posieren noch für ein Bild vor einem überdimensionalen Streckenplan, nachdem wir uns dort verewigt haben. Tina folgt uns wie ein Schatten und hält alles mit der Kamera fest.
Weiter geht es zur Ausgabe der Startunterlagen. Was uns hier erwartet, weiß ich ja schon. Aber dieses Jahr komme ich selbst in den Genuss einer eigenen Startnummer, auf der sogar mein »Name« steht, die 16-2. Harald hat als Teampartner logischerweise die 16-1. Außerdem erhalten wir eine große Sporttasche mit dem Logo des Transalpine-Run und der Startnummer, die mit dem begehrten Starter-Shirt und vielen anderen tollen Geschenken der Sponsoren gefüllt ist. Diese Tasche habe ich bei Harald immer ein wenig neidisch beäugt – jetzt habe ich selbst eine.
Stolz verlasse ich das Oberstdorf Haus, den Teilnehmerausweis um den Hals, die Tasche in der Hand. Jetzt ist es offiziell: Ich bin eine Starterin des Transalpine-Run.
Was mir das bedeutet, ist für die meisten Menschen sicher nur schwer zu verstehen. Aber wenn man so lange Zeit mit dem Tod an der Seite durchs Leben geht wie ich, erlangen Träume einen anderen Stellenwert. Ich überlege oft, was ich gerne noch machen würde. Allerdings denke ich diese Wunschträume eigentlich nie zu Ende, denn mir ist bewusst, dass mich der Tod jede Sekunde packen und mit sich nehmen kann. Pläne, Träume, Wünsche, Zukunft – das sind alles Begriffe, die in meinem Leben wenig Platz haben.
Am Abend finden im Oberstdorf Haus das Streckenbriefing und die erste Pasta-Party statt. Wolfgang, der Streckenchef, erzählt viel zum Etappenverlauf. Er hat die verschiedenen Etappen festgelegt, die Strecke markiert und sorgt während des Laufs für Sicherheit. Man merkt ihm an, dass er mit den Alpen verwachsen ist und sein ganzes Herzblut in die Streckenplanung steckt. Zur Einstimmung auf den bevorstehenden Etappenlauf werden außerdem Bilder vom Vorjahr gezeigt.
Ich habe mir die Etappenprofile schon im Internet und in meinem Trailbook, das ich mit den Startunterlagen bekommen habe, angesehen. Aber nach Wolfis Ausführungen habe ich noch mehr Respekt vor der Strecke, und dennoch ist die Vorfreude unbändig. Ich will einfach nur laufen!
Abends im Hotel quäle ich Harald noch mit einer Million Fragen: Was soll ich anziehen? Was soll ich noch alles in den Rucksack packen, außer den Sachen, die vorgeschrieben sind? Was soll ich zum Frühstück essen? Was und wie viel soll ich unterwegs essen? Was machen wir, wenn wir das Zeitlimit nicht schaffen? Und ich lamentiere: über Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Knieschmerzen – wahrscheinlich wäre es einfacher, die Körperteile aufzuzählen, die nicht wehtun. Ich schwanke zwischen totaler Euphorie und Panik.
Harald ist in dieser Situation der Fels in der Brandung. Er hat ja bereits an drei Transalpine-Runs teilgenommen, hat daher schon viel Erfahrung und kann mir auf jede Frage eine sinnvolle Antwort geben. Geduld ist eigentlich nicht gerade seine Stärke, aber an diesem Abend ist er unglaublich nachsichtig mit mir.
Am Wettkampfmorgen scheint die Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel. Der
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