Ich uebe das Sterben
Berglauf nach Immenstadt im Allgäu.
Immenstadt war als Kind meine zweite Heimat. Wir hatten dort eine kleine Ferienwohnung und verbrachten jahrelang jeden Urlaub und jedes lange Wochenende dort. Ich kenne alle Winkel des kleinen Städtchens am Fuße des Mittags und viele Wanderwege, die ich schon im Kindesalter mit kariertem Rucksack auf dem Rücken erklommen habe.
Als wir unser Hotel im Zentrum von Immenstadt erreichen, bin ich völlig aus dem Häuschen. Ich fühle mich zuhause, auch wenn ich jahrzehntelang nicht mehr hier gewesen bin. Ich werde von Erinnerungen überspült wie von einer Flutwelle. Der kleine und große Alpsee, die Mittagbahn, die kleine Bäckerei, in der es immer noch lose Süßigkeiten zum Aussuchen gibt, das Haus, in dem unsere Ferienwohnung war – es ist, als ob die Zeit zurückgedreht wurde.
Am Morgen des Wettkampfes scheint die Sonne, der Himmel ist strahlend blau, und die Temperaturen lassen bereits um acht Uhr einen heißen Tag erahnen.
Ich bin nervös. Zum einen vor lauter Freude, dass ich meinen ersten Berglauf ausgerechnet in Immenstadt mache, zum anderen aus Respekt vor den Höhenmetern, die mich und die anderen Läufer erwarten.
Wir starten alle gemeinsam an der Talstation. Eine recht kleine Läuferschar mit rund einhundertdreißig Teilnehmern läuft über die volle Marathondistanz, etwa dreißig Teilnehmer nehmen die Distanz über zwölf Kilometer in Angriff. Während Harald über die volle Distanz geht, wage ich mich bei meinem Berglaufdebüt nur an die kleine Strecke.
Es sind die schönsten, wenn auch anstrengendsten Laufkilometer meines Lebens. Ich finde einen guten Rhythmus und genieße die tollen Ausblicke, die sich mir bieten. Ich vergesse Och und alle meine anderen Probleme.
Als ich nach einer Stunde und achtunddreißig Minuten und ungefähr achthundert Höhenmetern in den Knochen das Ziel auf der Mittelstation des Mittags erreiche, bin ich nur glücklich. Das ist Leben!
Nach einer Dusche mache ich es mir auf dem Rasen gemütlich und warte auf Harald, der ziemlich erschöpft, aber auch glücklich, ein paar Stunden später das Ziel erreicht. Immenstadt hat gehalten, was es versprochen hat. Ein Stück Kindheit, das auch noch im Erwachsenenalter einen Zauber auf mich ausübt.
Ochs schönste Reise und sportliches Highlight –
Transalpine-Run 2009
B erglauf ist eine neue Erfahrung für mich. Etwas, an das ich mich vor meinem Lauf in Immenstadt noch nie herangetraut habe.
Ich habe Harald zwar zu zahlreichen Bergläufen begleitet, aber nie ernsthaft darüber nachgedacht, selbst an den Start zu gehen. Der Traum vom Berglauf war für mich so weit entfernt wie die Milchstraße von der Erde. Zum einen habe ich Angst vor einem Stromstoß auf einem Steig oder einem schmalen Pfad mit steilem Abhang und einem anschließenden Sturz in die Tiefe. Zum anderen wäre es sehr schlimm für mich, wenn ich mir während eines Laufs eingestehen müsste, dass ich den Gipfel nicht im Zeitlimit erreiche. Ich habe schließlich noch niemals einen Wettkampf abgebrochen. Es wäre ein Sieg der Krankheit – und den gönne ich ihr nicht.
Och hat im August einige Stromabgaben für mich auf Lager. Aber ich ignoriere ihn, so gut es geht. Ich laufe weiter, kaufe mir Trailrunning-Schuhe und erkunde zu Fuß kleine Hügel, schmale Pfade, trabe bergauf, bergab.
In meinem Kopf begleitet mich ein neuer zaghafter Traum, der Traum vom Transalpine-Run. Irgendwann will ich morgens am Start stehen, mit Harald an meiner Seite.
Das Glück meint es gut mit mir und meinem Traum. Zwei Wochen vor dem Transalpine-Run sagt Haralds Teampartner seine Teilnahme krankheitsbedingt ab.
Einen Tag später stehe ich gemeinsam mit Harald auf der Starterliste des Transalpine-Run 2009.
Ich sitze vor dem Computer und starre auf die Liste. Ich fühle mich groß und wichtig und lebendig. Harald hingegen hadert schon mit sich und dieser Entscheidung. Aber nicht, weil er nicht mit mir laufen möchte, sondern weil er Angst um mich hat.
Ich bin zu einem Kompromiss bereit: Ich laufe mit ihm bis nach Sankt Anton. Das wären die ersten zwei Etappen von insgesamt acht und erscheint uns beiden vernünftig und machbar.
Doch zunächst steht Haralds Lauf um den Mont Blanc auf den Plan. Natürlich begleite ich ihn zu diesem Wettkampf.
Chamonix präsentiert sich uns im wahrsten Sinne des Wortes von seiner Sonnenseite. Der weiße Berg reflektiert im Sonnenlicht und bietet einen imposanten Anblick.
Die Luft knistert, denn überall sind
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