Ich und andere uncoole Dinge in New York
damit der auch immer alles verstehen kann und sich nicht ausgeschlossen fühlt. Wenn ich etwas auf Deutsch sage, übersetzt meine Mutter jedes Wort sorgfältig ins Englische, so dass ich nach kurzer Zeit aufgebe und auch Englisch spreche, weil sich jedes Gespräch sonst ewig hinzieht. Meine Mutter hat zudem einen wahnsinnig deutschen Akzent, wenn sie Englisch spricht, und bemüht sich null, ihn abzulegen. Ich habe den Eindruck, sie spricht den Akzent extra dick, weil sie glaubt, dass sie sich damit eine interessante Note gibt. Aber Dave hat es auch so verstanden.
„Jetzt sei mal nicht so ein Tight-Ass, Judith“, wendet er sich ein wenig genervt an mich. „Erzähl mir doch nicht, dass du noch nie gekifft hast.“
Das ist echt der Höhepunkt. Ich bin schließlich nicht seine verdorbene Nichte. Gerade will ich energisch den Kopf schütteln und richtigstellen, dass ich so was nicht nötig habe, als mir einfällt, dass ich zwar noch bis vor wenigen Stunden ehrlich und mit voller Überzeugung den Kopf hätte schütteln können, doch dass dieser Moment nun in der Vergangenheit liegt. Ich puste die Luft, die ich in Vorbereitung der Attacke schon eingesaugt habe, langsam wieder aus.
„Hat Rachel dir schon gesagt, dass wir am Wochenende alle nach New Jersey fahren, damit Gina mal die ganze Family kennenlernt? Ich dachte, es wird Zeit, sie dem Klan vorzustellen.“
Dave hat zu einem versöhnlichen Tonfall gewechselt. Dann tätschelt er Regines Hintern, als wäre ich nicht da. Meine Mutter strahlt übers ganze Gesicht und hat schon vergessen, dass sie sich gerade als Drogenabhängige geoutet hat. Ich schwöre, sie sieht sich wahrscheinlich schon in einem riesigen amerikanischen Brautkleid zum Altar stolzieren. Ich werde jedenfalls nicht ihre Schleppe tragen. Kurze Zeit später laufe ich wieder nach Hause. Den Besuch hätte ich mir sparen sollen. Ich schicke Peter eine SMS. „Miss you“. Ich habe keine Lust mehr auf Spielchen.
Am nächsten Tag verpasse ich tatsächlich Peters Anruf. Warum ruft er eigentlich genau dann an, wenn ich bei der Arbeit bin und zumindest potenziell nicht ans Telefon gehen kann? Als ich seinen Anruf sehe, ist es zu spät und ich bekomme seine Stimme nur noch auf der Mailbox zu hören:
„Hey, Judith, tja, mmmh. Ich hoffe, dir geht es gut. An der Uni gibt’s im Moment megamäßigen Stress. Hoffentlich bis bald. Halt die Ohren steif.“
Ich höre die Nachricht noch einmal an. Und noch einmal. Aber sie ändert sich nicht. Irgendwie keine Nachricht von einem total verliebten Freund. Halt die Ohren steif? Ich kann nichts mehr essen. Ich versuche zurückzurufen, aber seine Mailbox geht dran und ich spreche lieber nicht drauf. Das spare ich mir für später auf. Er wird ja wohl nochmal anrufen.
Am Donnerstag ruft Rachel über die Trennwand: „Wir fahren morgen nach der Arbeit los, meine Mutter holt uns ab. Du musst deine Sachen mit ins Büro nehmen.“
„Ich fahre nicht.“
Rachels Kopf erscheint über der Trennwand. Sie hält mir eine Tüte Chips hin, deren Knistern ich schon eine ganze Weile neidisch verfolgt habe.
„Spinnst du?“
Ich schiebe mir eine Handvoll Salt & Vinegar Chips in den Mund, um für die Antwort etwas Zeit zu gewinnen. Sie schmecken köstlich, gleichzeitig sauer, salzig und süß. „Ach, ich dachte, ich bleibe hier und erledige ein paar Dinge, die liegengeblieben sind.“ Übersetzt heißt das: Ich muss unbedingt Peter wiedersehen. Wir haben doch noch telefoniert und Peter hat nur am Wochenende Zeit, weil er so viel für die Uni zu tun hat.
„Du willst doch nicht verpassen, wie deine Mutter meinen Eltern vorgeführt wird! Natürlich kommst du mit, da gibt’s nichts zu überlegen.“ Ihr Tonfall lässt keinen Widerspruch zu und ihr Kopf verschwindet wieder. Ich kann, ehrlich gesagt, gut darauf verzichten, Zeuge zu sein, wie meine Mutter versucht, einen guten Eindruck zu machen. Wahrscheinlich erspare ich mir da eine peinliche Situation. Nach einem Moment kommt Rachels Kopf wieder nach oben.
„Mensch Judith, ehrlich, ich habe mich gefreut, dir New Jersey zu zeigen, okay? Und wenn’s wegen Peter ist: Männern tut es gut, sie mal warten zu lassen. “
Sie lächelt mich an. Ich lächele zurück. Sie hat ja recht. Aber vor allem schickt Peter Donnerstagabend eine SMS, dass er noch einen Haufen Aufsätze schreiben muss, und ich nutze die Gelegenheit, um schnell zu antworten, dass ich sowieso keine Zeit habe, bevor er es schreiben kann. Dating in New York
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