Ich und andere uncoole Dinge in New York
gesteht Meredith dann mit einem gequälten Ausdruck von Schuldbewusstsein. „Es war die Hölle, aber ich habe die großartigsten Hosen von Dolce gefunden. Sie machen wahnsinnig schmale Hüften. Zweihundertfünfzig Dollar. Die Chance konnte ich nicht ungenutzt lassen.“
„Konntest du nicht bis morgen oder Sonntag warten? Wir wollten doch zusammen gehen.“ Sonntag ist in den USA ja kein Feiertag, sondern Shopping-Tag. Amerikaner sind die reinsten Shopping-Maschinen.
„Ich bringe dem Land wenigstens Umsätze. Du solltest auch mal was für die amerikanische Wirtschaft tun, Schwesterherz.“
Meredith sieht geradezu überirdisch schön aus. Sie ist älter als Rachel, vielleicht drei- oder vierundzwanzig. In einem Anflug von Bescheidenheit hat Rachel mal gesagt, Meredith sei „die Hübsche“ in der Familie, was aus Rachels Mund absurd geklungen hat. Aber jetzt verstehe ich, was sie gemeint hat. Meredith scheint allerdings auch zu wissen, dass sie gut aussieht. Sie ist größer als Rachel, dabei noch zierlicher und mit Hüften, die auch ohne Hosen von Dolce ungewöhnlich schmal sind. Haare und Haut schimmern wie Rachels, bei den Rosenbaums gibt es so was Ordinäres wie Pickel einfach nicht. Ihre ovalen Augen strahlen hellbraun mit einer Spur von grün. In einer Modezeitschrift würde der zarte Schimmer auf ihren Wangen und Lippen wohl als „leichtes Tages-Make-up“ bezeichnet werden. Endlich ist die Auberginen-Lasagne, angeblich eine Spezialität von Rachels Mutter, fertig. Adam kommt auch dazu und drängelt sich auf den Platz neben mich.
„Bei dir weiß ich wenigstens, dass du mir nicht die Lasagne vom Teller wegmampfst. Da kann man bei der eigenen Verwandtschaft nie sicher sein.“ Er stupst Meredith, die auf der anderen Seite sitzt, mit dem Ellbogen an. „Bei drei Kindern geht’s vor allem darum, wer am schnellsten essen kann.“ Er schiebt sich grinsend ein großes Stück Lasagne in den Mund. Muss schön sein, so einen Bruder zu haben. Vielleicht ist Rachel deshalb so cool, weil sie mit einem Bruder aufgewachsen ist statt mit einer Mutter, die man, abgesehen von einer biologischen Verwandtschaft, kaum als solche bezeichnen kann, und einem Vater, der lieb, aber erschreckend hilflos ist und vor fünf Jahren sowieso aus dem Haus, das er selbst gekauft hat, in eine Wohnung abgeschoben wurde. Draußen hat es angefangen zu regnen, ein warmer Sommerregen, leicht und gleichmäßig. Wir öffnen die Fenster. Unter der Küchenlampe sitzen wir wie auf einer erleuchteten Insel und eine warme Brise prickelt in meinem Nacken. Später liege ich auf der Gästematratze in Rachels Zimmer. Es ist so gemütlich hier. Ich verschränke die Arme hinter dem Kopf und denke an Peter. Rachel hatte recht. Manchmal ist es gut, nicht sofort immer und überall verfügbar zu sein. Dann wirkt man, als hätte man es nötig. Ich finde solche Spiele eigentlich doof. Warum soll man sich nicht anrufen, wenn man will? Aber wahrscheinlich geht es einfach nicht ohne. Nächste Woche wollen wir uns wiedersehen. Ich soll zu ihm kommen, schon wieder ein Date! Er war nett am Telefon. Vielleicht bin ich einfach zu ungeduldig. Wir haben ja bisher auch viel zu wenig Zeit miteinander verbracht. Ich lausche auf den leichten Regen und als ich am nächsten Morgen aufwache, merke ich, dass ich so tief geschlafen habe, wie schon lange nicht mehr.
„Hallo, Judith, ich bin Jerry, Rachels Vater. Ihr beiden wohnt also zusammen. Wir freuen uns schon auf das Essen mit Dave und deiner Mutter heute Abend“, begrüßt Jerry Rosenbaum mich am nächsten Morgen. Rachels Vater hat einen warmen Händedruck und volles, weißes Haar. Er fährt ins Büro, obwohl Samstag ist. Rachel und ich sitzen in der dottergelben Küche, toasten Bagels, beschmieren sie mit Cream Cheese und hören Country Musik im Radio.
„Und?“, fragt Rachel, nachdem ich in einen Zimt-Rosinen-Bagel gebissen habe. „Ist das nicht Wahnsinn?“
Vielleicht ist Rachels Euphorie ein bisschen überzogen, aber wirklich nur ein bisschen. Von außen ist ein Bagel nicht sonderlich vielversprechend. Er fühlt sich an wie Gummi und nichts lässt darauf schließen, dass er schmecken könnte. Aber amerikanisches Brot ist ja bekannt für seine merkwürdige Konsistenz. In der WG haben wir Wonderbread, ein Toastbrot, von dem man vierzig Scheiben problemlos zum Volumen von einer einzigen zusammendrücken kann. Doch wenn man den Rosinen-Bagel auseinanderschneidet, toastet, eine dicke Schicht Philadelphia
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